Chronik der Stadt Reichenau

nisch für sich den Planewald. Vergebens setzte ihnen der Richter die Un¬ möglichkeit ihres Verlangens auseinander, aber die waldhungrige Menge nahm eine drohende Haltung an und verlangte eine Schrift, nach welcher ie das erste Anrecht auf die Planewaldung hätten. Dem Richter blieb in einer bedrohten Lage nichts anderes übrig, als eine diesbezügliche Schrift auszustellen, mit welcher die Menge dann johlend im Dorfe herumzog mit dem Rufe : „Mir hon die Blanne“ Leider erfüllte sich diese aus Unverstand geborene Hoffnung nicht Die bittere Enttäuschung des Volkes regte zu immer stärkerem Wider¬ tande gegen die Willkür der Amter und Grundherren an, immer bedroh¬ licher zogen sich die Sturm verkündenden Gewitterwolken über der Residenz¬ stadt Wien zusammen. Als aber die Studenten in Wien, Prag, Budapest und anderen Hauptstädten in geschlossenen Reihen zum offenen Widerstande gegen die Unterdrückung der Menschenrechte und Geistesfreiheit aufforderten und der schlesische Hans Kudlich von Ort zu Ort die Bauernschaft zum Auf¬ ruhr anspornte, gab es keinen Halt mehr, in Österreich und Ungarn ent¬ brannte der Kampf um die Freiheit. Am 1. April 1848 wurde auf Befehl des Kaisers Ferdinand allerorts die Nationalgarde organisiert. In Reichenau bestand diese durch ihre Für¬ sten=Gefangennahme berüchtigte Nationalgarde aus 24 Mann, deren Haupt¬ mann der Maler Anton Seidel Nr. 331 war. Nur selten bekam der taten¬ lüsterne Hauptmann mit seiner Garde Gelegenheit, einzugreifen, da die ganze Revolutionsperiode in Reichenau verhältnismäßig in Ruhe verlief. Der Drang nach großen Taten ließ den Hauptmann Seidel nicht zur Ruhe kommen und bald fand sich Gelegenheit, bei welcher er und seine Garde ich unvergänglichen Ruhm und Ehre zu erringen hofften. Fürst Rohan war fälschlicherweise des Hochverrates beschuldigt worden und in Reichenau das Gerücht verbreitet, daß auf seinen Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt sei. Eines Tages ging durch Reichenau die Nachricht daß der Fürst nach Gutbrunn ins Forsthaus gefahren sei. Der dicke Seidel sammelte rasch seine Garde und legte sich beim Schutzengel in den Hinter¬ halt, um den zurückkehrenden Fürsten gefangen zu nehmen und den Kopf¬ preis einzustecken. Nach langem Warten kam endlich von Gutbrunn eine geschlossene Kalesche angefahren. Die Garde stürmte vor und nahm die Kutsche mit ihren Insassen in Beschlag. Mit begeisterten Jubelrufen wurde unter starker Bedeckung zum Richter gefahren, wo sich der vermeintliche Fürst als polnischer Handelsjude entpuppte, welcher von Gablonz nach Rei¬ chenau gefahren kam, um Dosen zu kaufen. Der fürstliche Wagen war aber nur von einem höheren Forstbeamten besetzt, welcher vom Forsthause nach Gablonz gefahren war. Der Gardehauptmann Seidel aber hatte seine Unbesonnenheit Zeit sei¬ nes Lebens durch Sticheleien ernster und scherzhafter Natur zu büßen. Die am 13. März 1848 herausgegebene Verfassung wurde vom freiheit¬ lichen Volksausschusse nicht anerkannt und zerschlug sich von selbst. Auf dem Reichstage in Wien im Herbste 1848 legte das Revolutionskomitee eine dem Volksbegehren entsprechende Verfassung vor, doch trat auch diese noch nicht in Wirksamkeit, weil auf dem folgenden Reichstage in Kremsier, wo über diese Verfassung verhandelt werden sollte, infolge Unnachgiebigkeit der herr¬ schenden Klasse von der anstürmenden Volksmenge der Reichstag ausein¬ andergejagt wurde. Am 4. März 1849 gab die Reichsregierung wieder eine neue Verfassung heraus, welche vom Volksausschusse nicht genehmigt wurde. Ebenso erging Wilhelm Preißler: „Chronik der Stadt Reichenau“. 3 33

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