Chronik der Stadt Reichenau

Bereits das menschenfreundliche Streben der Kaiserin Maria Theresia zielte dahin, ihren Völkern mehr Freiheit und Wissen angedeihen zu lassen, jedoch trafen die geplanten Reformen bei dem grundbesitzenden Adel au den heftigsten Widerstand, sodaß nur ein Teil ihrer Fürsorge der Schule zugute kam. Im Jahre 1769 schrieb der edelsinnige Staatsrat Geßler an die Kaiserin einen Bericht über die Zustände auf den Böhmischen Herrschaften und soll ein Satz aus diesem bemerkenswerten Schreiben hier wiederholt werden: „Mit Erstaunen, ja mit wahrem Grausen und peinlichster inniger Rührung ersieht man das äußerste Elend, in dem der arme Untertan durch die Be¬ drückung des Grundherren schmachte“ Im Jahre 1770 bereits wurden durch ein kaiserliches Edikt die gröbsten übergriffe der Gutsherrn auf ihren Besitzungen eingestellt. Im 18. Jahrhundert mußte der Bauer über den ganzen Sommer ro¬ boten und Frondienste leisten, sodaß für die eigene Arbeit nur die Sonn¬ tage und Nächte blieben. Die erwachsenen Kinder der Leibeigenen wurden bis zu ihrer Großjährigkeit zu Herrendiensten auf den Gutshöfen ohne Entlohnung gezwungen. Häusler hatten im Jahre 40 Tage zu roboten, und die ganz besitzlosen Männer mußten jährlich 13 Tage bei der Jagd und Fischerei Frondienste leisten. Kein Leibeigener durfte seine Herrschaft ver¬ lassen oder in ein fremdes Gebiet heiraten. Wenn ein Bauer starb, wurde ihm als Abschlag das beste Pferd oder Kuh vom Fronbüttel aus dem Stalle genommen. In den Städten blühten Handel und Gewerbe. Festungsmauern und Wälle schützten die Städter vor der Landplage herumziehenden Raub¬ gesindels. Das Volk auf dem Lande und die Bauern waren dagegen der Belästigung abgedankter Kriegsknechte schutzlos preisgegeben. Die Rechtsverhältnisse wurden immer unhaltbarer, die Gärung im Volke wuchs allgemein und war nur durch drakonische Strenge der Guts¬ herren zu unterdrücken. Aus dem nahen deutschen Reiche kamen Nachrichten über bessere Lebens¬ bedingungen und Rechtssicherheit und stachelten nicht nur das Volk, sondern auch den Gelehrtenstand zum Widerstande gegen die in Österreich herrschen¬ den Verhältnisse auf. Im Staatsrate in Wien kämpften die einsichtsvollen Reformen der Kai¬ erin Maria Theresia und des Volksfreundes Josef II. mit der Macht des besitzenden Adels Am 6. Feber 1770 gab Kaiser Josef trotz allen Widerstandes der welt¬ lichen Einsprüche das Patent zur Aufhebung der Leibeigenschaft, sowie die für Böhmen heraus, welches bereits erwähnten Erleichterungen der Robot aber von den Grundherren nicht befolgt und den Untertanen verheimlicht wurde. Die Tatsache von der Befreiung war aber doch unter das Volk gedrun¬ gen und führte zu den Bauernaufständen in Böhmen. Die aus tschechischen Bauern und Häuslern bestehenden Sturmhaufen überfielen die Schlösser der Grundherren und Amter, plünderten und steckten dieselben in Brand. Durch diese Freiheitsstürmer wurde am 26. März 1775 auch die Pfarrei in Reichenau bedroht. Die 700 Mann starke Bande wurde jedoch von unse¬ rer Bevölkerung mit blutigen Köpfen vertrieben und folgt an passender Stelle ein ausführlicher Bericht über diesen Tag. Am 13. August 1775 erließ Maria Theresia ein neues Robotpatent für Böhmen, wovon jedoch schon die Rede war. Eine kaiserliche Verordnung vom 18. September 1787 bestimmte, daß von diesem Tage an das Niederknien und Handküssen den Gutsherren ge¬ 26

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