Chronik der Stadt Reichenau

genüber zu unterbleiben habe, da das Knien nur vor Gott gestattet sei und von Mensch zu Mensch ein Verstoß gegen Gott sei. Staatsrat Fürst Kaunitz schlug dem Kaiser Verbesserungen der geschaf¬ enen Gesetze vor, da sie den Richtern zu viel Willkür in der Ausübung ihrer Amter überlasse und die Folter mit ihren schrecklichen Folgen für die oft zu Unrecht Gepeinigten noch bestehen bleibe. Nach seinen Erhebun¬ gen seien im Jahre 1775 von 39 Gefolterten nur 9 für schuldig befunden worden und die übrigen hätten die grausame Marter an Leib und Seele unschuldig ertragen und wären Zeit ihres Lebens zu erbarmungswürdigen Krüppeln gerichtet. Am 2. Jänner 1776 wurde auf Befehl des Kaisers Josef diese mittel¬ alterliche Tortur der Folter in den österreichischen Ländern für alle Zeit abgeschafft zum Wohle der unter falschem Verdacht oder böswillig beschuldig¬ ter Inhaftierter. Vom Jahre 1784 an gelangte das Richteramt nur an juridisch gebildete und geprüfte Anwärter und waren besondere Inspektoren angestellt, welche die Amtstätigkeit zu überwachen hatten. Nur den Grundherren verblieb noch das Recht, über ihre Untertanen das Urteil zu sprechen, doch waren auch ihnen Schranken gesetzt, da schwere Fälle den öffentlichen Richteräm¬ tern überwiesen werden mußten Die Frucht des von Kaiser Josef II. gestreuten Samens, allen Unter¬ tanen ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen, sollte der edelsinnige Mo¬ narch und Menschenfreund jedoch nicht mehr erleben. Zuviel Widerstand des um seine Macht bangenden Hochadels und der römischen Kirche wurde ihm entgegengesetzt, aber der Keim des völkerbefreienden Gedankens wur¬ zelte fest in den Herzen der Rechtlosen und Bedrückten und reifte langsam durch 50 Jahre, bis die goldenen Früchte im Revolutionsjahr 1848 dem Staatsgewaltigen und am Absolutismus festhaltenden Fürsten Metternich über den Kopf wuchsen und seine Macht erdrückten Wohl forderte die Zeit des Regierungs= und Staatsumsturzes viele Opfer, aber nicht umsonst starben der deutsche Freiheitskämpfer Robert Blum und seine Getreuen den Heldentod Der Bann war gebrochen, Österreichs Völker atmeten erleichtert auf. Der freiheitliche Gedanke feierte den Sieg nach 100jährigem Kampfe durch die Anregung des unvergeßlichen Volkskaisers Josefs des II. Vergeblich unternahm der Papst die Reise von Rom nach Wien, um den Kaiser von seiner Standhaftigkeit gegenüber dem grundbesitzenden Adel und der römischen Kirche abzubringen, aber der Kaiser blieb fest und ließ sich weder durch Bitten noch Drohungen von seinem Plane abbringens, o daß der Papst ohne Erfolg und dem Kaiser tief grollend die Rückreise nach Rom antreten mußte. Zur Erfassung der steuerpflichtigen Gutshöfe und Bauernwirtschaften ließ der böhmische Landtag im Jahre 1654 durch eine Kommission eine Liste Als aller Grundbesitze aufnehmen, welche der Steuerpflicht unterlagen. Steuereinheit und abgabepflichtig galt ein Grundbesitz von 50 Strich anbau¬ fähigen Bodens. Herr Professor Runge hat sich der schweren Aufgabe unterzogen, die Steuerrolle von Reichenau vom Jahre 1654 aus dem Prager Archive zu beschaffen und soll diese Steuerrolle zur Gänze hier wiedergegeben werden. Herrn Professor Franz Runge von der staatlichen Anstalt für „sudeten¬ deutsche Heimatforschung“ in Reichenberg i. B., gebührt für sein liebenswür¬ diges Entgegenkommen bei der Durchsicht der Heimatsgeschichte und der zu diesem Werke fehlenden Steuerrolle aus dem Jahre 1654 der innigste Dank 27

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2