Chronik der Stadt Reichenau

Wir wissen nicht, wie Reichenaus Verhältnisse im Mittelalter waren und was von dem obigen auf diesen Ort zutraf, begehen aber kaum einen Feh¬ ler, wenn wir uns seine Stellung der geistlichen Grundherrschaft gegenüber so ähnlich und eher noch besser vorstellen. Die Grundobrigkeit hatte auch über Ruhe und Ordnung zu wachen, welche im 15. Jahrhunderte und nicht minder im 17. Jahrhunderte gegen Ende des 30jährigen Krieges —eine Folge der Not — sehr im argen lagen, die aus dem folgenden Beispiel hervorgeht Am 1. Oktober 1648, kurz nach dem „Westphälischen Frieden“ erließ Graf Waldstein auf seinen Herrschaften zur Steuerung des herumstreifenden Raubgesindels, abgedankter Kriegsknechte und Marodeure ein Edikt folgen¬ den Inhaltes: „Bei diesen gefährlichen Zeiten, da sich allerhand Seuchen und Krankheiten merken lassen, und das herrenlose Gesindel unter dem Namen abgedankter oder angeworbener Soldaten das Land unsicher machen, sollen sich junge Männer melden und anwerben lassen zu einer Bewachungsmann¬ schaft und sollen vom Kretscham oder Richter Lohn und Menage erhalten und vom Militärdienste frei sein, daß der Werber nicht Hand an sie legen soll. Den Schenken und Bauern wird bei Leibesstrafe verboten, solch Gesindel zu verköstigen und zu beherbergen oder Unterschlupf zu leisten. Die Wach¬ mannschaft solle sie ohne Gnaden über die Grenze treiben und bei Gegenwehr mit einem häufenen Strick auf den nächsten Baum aufhenken“ Ein Fall sonderbarer Rechtspflege aus jener Zeit dürfte der von Schwarzecker niedergeschriebene sein: Zu Ende des 18. Jahrhunderts weide¬ ten die Söhne der beiden Bauern Preißler (Poul) und Maschke (dürfte zu jener Zeit Richter gewesen sein) ihre Kühe auf der Rodung beim heutigen Steigerhause und wollten sie zu Mittage in einem Tümpel des Katzebornes tränken. Bei diesen Tränken kam es zwischen den Jungen der beiden Bau¬ ern zum Streite, da jeder seine Kühe zuerst tränken wollte. Bei dem nun folgenden Raufhandel stieß die Kuh des Preißler mit dem Horne dem Jun¬ gen des Maschke ein Auge aus. Der Bauer Maschke, welcher in der Nähe Holz fällte, eilte auf das Geschrei seines Jungens herbei und im Zorn über den Vorfall schlug er den Sohn Preißlers mit einer Wurzel, bis er blutüber¬ strömt zusammenbrach und in den Wassertümpel fiel, aus welchem er tot herausgezogen wurde. Bei der nun folgenden Klage undVerhandlung in Swijan sprach der Amtsmann als Richter folgendes Urteil: „Der Bauer Maschke hat dem Bauer Preißler einen anderen Sohn zu beschaffen, oder ihm ein Schock Prager Groschen als Buße zu leisten und als anscheinender Totschläger nicht mehr Richter zu sein. Den einäugigen Sohn möge er zur Strafe für seine Missetat sein lebenlang vor Augen haben und Gott möge ihm ein gnädiger Richter sein.“ Auch schlagfertige Angeklagte gab es zu jener Zeit, die sich in drastischer Weise ihr Recht selbst schufen. In Reichenau lebte ein Garn= und Salzhänd¬ ler namens Lang (Kaschel Kristel), welcher seine Kunden und Nachbarn durch Mehraufschreiben beim Einkauf und hohe Zinsen beim Geldausleihen in wucherischer Weise ausbeutete und mit seinem Schuldbuche öfters seine Schuldner beim Richter verklagte. Sein Gewohnheitsspruch soll gewesen sein: „Geschriebene Schuld ist heilig wie Gottes Wort“ bis ihm ein zu Unrecht verklagter Häusler vor dem Richter das Schuldenbuch so lange um den Kopf hieb, bis es in kleine Fetzen zerschlagen war, wobei er ausrief: „ich bin dir nicht 70 Gulden, sondern nur 7 Gulden schuldig und der Teufel mag dir mit Gotteswort die heilige Schuld bezahlen.“ Die Rechtsverhältnisse zwischen Grundherrschaft und Untertanen änder¬ ten sich für Reichenau und die zur Herrschaft Svijan gehörigen Ortschaften 24

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