Chronik der Stadt Reichenau

In der jetzigen Zeit der Forschungen nach Altertümern würde wohl derartigen Funden mehr Beachtung geschenkt werden, als dies damals in Unkenntnis des großen historischen Wertes geschah. In dem benachbarten Liebenau wurden vor einigen Jahren beim Bau einer Fabrik, wie auch in anderen Gegenden des Sudetenlandes prähisto¬ rische Funde gemacht, wodurch die Annahme an vorgeschichtliche Siedlungen in Nordböhmen gestärkt wird. Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß das Flußbett der Mohelka nach dem Abflusse des Seewassers im unteren Ortsteile in Ermangelung steinigen Untergrundes viel breiter und tiefer war und erst allmählich durch von den Anhöhen herabgeschwemmtes Holz, Laub und Erde wieder ausge¬ füllt wurde, welcher Umstand zur Bildung der an dieser Stelle befindlichen Moor= und Torflager führte Wie der Name „Reichenau“ entstanden ist und auf welchen Ursprung er zurückzuführen ist, darüber lassen sich nur Vermutungen hegen. Nach seiner Endsilbe „au“ dürfte er auf eine germanische Gründung oder Sied¬ lung Bezug haben. Nach einer im Volke erhaltenen Sage, von welcher sich eine Niederschrift bei der Familie Seiboth (Mühljörge) befand, soll ein aus den Kreuzzügen heimkehrender Kriegsmann sich in den hiesigen Urwäldern verirrt und an der Stelle, wo bis zum Jahre 1711 die alte hölzerne Kirche stand, eine baufällige Kapelle mit daneben stehendem Holzkreuze und ein auf einem Baume hängendes Glöckchen gefunden haben. Da der Tag schon seinem Ende nahte, habe der Krieger in der Kapelle übernachtet und sei im Schlaf durch ein Geräusch wie Gold= und Silberklang geweckt worden. Bei Tagesanbruch soll er vor einem Mauseloch herausgescharrte Gold= und Silbermünzen entdeckt und bei näherem Suchen in einer Wand noch einen großen Schatz gefunden haben. Da der Kreuzfahrer heimatlos war, habe er beschlossen, sich an der Stelle seines Glückes ein Heim zu gründen. Auf einem Rosse sei er weit über Berge geritten und habe aus Schlesien eine Schar Leute geholt und den Orte besiedelt, welchem er den Namen „Reiche Au“ gegeben habe. Als erster Bau sei eine Kirche in Angriff ge¬ nommen worden. Auch der Proschwitzer Müllermeister Jäger berichtet in seiner Dorf¬ chronik noch eine ähnliche Sage, doch ist die Zeit der Auffindung einer Ka¬ pelle erst nach der Zeit der Hussitenkriege angegeben. Die Sage von dem Kreuzfahrer hat mehr Wahrscheinlichkeit für sich, da sie von der Besiedlung des Ortes durch deutsche Kolonisten spricht und nach P. Frinds Kirchengeschichte im Jahre 1147 in Reichenau bereits eine Pfarr¬ edenfalls nicht geschehen wäre. kolatur errichtet wurde, was ohne Kirche Aus der Errichtung der Pfarrkolatur läßt sich schließen, daß Reichenau zu dieser Zeit schon ein größerer Ort gewesensein muß. Der werte Leser wird nun die berechtigte Frage stellen, wie die Kapelle, Glocke und Kreuz an den schwer zugänglichen Ort mitten im Urwalde ge¬ kommen sei. Auch diese Frage läßt sich lösen und in begründeter Form be¬ antworten. Schiffner schreibt in seinem Werk „Böhmische Landespatrone“ II, Seite 41 bis 42, daß nach der Ermordung des heiligen Wenzel im Jahre 936 dessen Mutter, die Herzogin Drahomira an die Regierung kam und sich als große Feindin und Verfolgerin des eingeführten Christentums betätigte. Unter ihrer heidnischen und grausamen Regierung flüchteten die tschechischen Chri¬ ten und Priester aus dem Flachlande in die schwer zugänglichen Urwälder der Randgebirge, wo sie in Sicherheit ihren Gottesdienst verrichten konnten. Erst nach dem Tode ihrer Verfolgerin, der Herzogin Drahomira, kehrten sie 13

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