Chronik der Stadt Reichenau

als Wenzel= oder Michelschneiderhäuser bezeichnet. Ein Sohn dieser Familie eierte am 3. September 1820 in unserer Kirche als neugeweihter Priester eine Primiz. Noch heute erzählen die alten Leute vieles von dem Michel¬ chneiderpater und seinem Reichtume Das Haus Nr. 71 wurde „Flurlhaus“genannt und stammt der Name von Florian. Die Flurlfamilie ließ auf ein hohes Alter zurückblicken, da sie chon im Anfange der Dosenzeit erwähnt wird. Beim Bahnbau wurde unter anderem auch das „Doftelhaus“ Nr.75 abgetragen, da sonst das Viadukt darüber zu stehen gekommen wäre. Der Besitzer Franz Preißler stammte aus der Doftmühle= und Doftbäckenfamilie und wanderte im Jahre 1875 aufs Land. Das Bäcklanghaus Nr. 76 und seine Geschichte ist dem werten Leser wohl aus den verschiedenen Abhandlungen und Prozessen seines früheren Besitzers Johann Müller bekannt. Erst mit der Niederlegung des Schankgewerbes durch den jetzigen Besitzer Emil Preißler verlor das Haus seinen über 100 Jahre bestehenden Spitznamen „Bäcklangwirtshaus“ Das Haus Nr. 77 war als „Glöcknerhaus“ bekannt und hatte seinen Na¬ men daher, daß die früheren Besitzer Maschke durch viele Jahrzehnte das Glockengeläute in der Kirche zu besorgen hatten. Ein erregender Vorfall spielte sich in jener Zeit auf dem Glockenturme ab. Der etwa 12jährige Junge des Glöckners und der gleichaltrige Junge des Fleischermeisters Au¬ gustin Ullrich (Flejschers Augstin) schoben ein langes Brett aus einem Schalloche des Turmes, ein Junge rutschte in dieser schwindelnden Höhe auf dem Brette sitzend nach rückwärts bis an dessen Ende und nun fingen die Jungen zum Schrecken der Zuschauer in dieser Höhe zu schaukeln an. Der herbeigerufene Pfarrer Neuber ersuchte die Leute, sich ruhig zu verhal¬ ten und nicht hinaufzurufen, um die Jungen nicht zu erschrecken. Nachdem die Jungen das Schaukeln satt hatten, kroch der außensitzende Junge auf dem Brette wieder zum Schalloche in den Turm zurück. Das Brett wurde eingezogen und das so gefährlich aussehende Unternehmen endete glücklich ohne Unfall. Pfarrer Neuber verewigte diesen seltsamen Vorfall in der Kir¬ chenchronik. Im Jahre 1858 wurde anläßlich des Bahnbaues von dem Kaufmanne Anton Penkert das Bauernhaus Nr. 83 abgetragen und ein neues Kauf¬ mannsgebäude errichtet. Das abgerissene Bauernhaus führte den Namen „Kaschenwirtschaft“ und stammte dieser Name daher, daß ein Vorfahre des letzten Besitzers eine reiche Tochter aus der Hannspoulfamilie geheiratet hatte. Diese Wirtschaft war ein Bestandteil der Tischernaz= und Pietsch¬ bauernwirtschaften. Die Häuser von Nr. 89 bis 100 waren fast durchwegs im Besitze der Familie Maschke (Jerschtounel). Der Name zergliedert sich in Georg Anton und hießen die Nachkommen der Familie: „Jerschtounels=Anton, Jerschton¬ nels Tischler, Jerschtonnels Gendarm, Jerschtounels Honnel, Jerschtounels Bäcke, Jerschtounels Augstin usw. Ein Sohn des letzteren wurde Jerschton¬ nelsaugstinsejusef genannt; derselbe betätigte sich als Glaswarenerzeuger und erhielt dadurch den Namen Stejnel=Maschke und kaufte im Jahre 1860 von Tischernazen das Haus Nr. 88. Der Sohn desselben, Stejnel=Maschkes Korl, wurde in Freundeskreisen oft scherzhaft mit dem fünffachen Namen „Jerschtounelaugstinsejusefskorl“ genannt Daß der heute gebräuchliche Name „Jerschtounel“ auf einem weit über 100 Jahre alten Bestand zurückblicken kann, erhärtet der Umstand, daß sich derselbe bereits durch sechs Generationen forterbt. 191

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