Chronik der Stadt Reichenau

Eine weit über Reichenau bekannte Familie war die unter dem Spitz¬ namen „Joukel“ lebende Gesellschaft, die die Häuser Nr. 105, 107 und 103 bewohnte. Joukel war eine Ableitung von Jakob. Die Familie zergliederte sich in die Joukelnaze, Joukelnaze Tengelkröte, Joukelnaze Krug, Joukel¬ naze Bummkessel, Jonkel Biemsche und andere. Der geriebenste und zugleich dümmste mochte wohl Joukelnaz selbst sein. Viele Geschichten und Anekdoten waren in früherer Zeit über ihn im Umlaufe. Der werte Leser sei auf die Begebenheiten anläßlich der Revolutionszeit aufmerksam gemacht, wo sich Jonkelnaz bereits als Besitzer des Plannewaldes aufspielte und für die letzt verflossenen 100 Jahre das Geld für die geleisteten Robottage vom Fürsten Rohan verlangte. In seinem Tatendrange ging Jonkelnaz mit ausgestopftem Bauche, glän¬ zender Talmikette, ebensolchen Ringen an den Fingern, eine große Leder¬ brieftasche mit Papierschnitzeln in der Rocktasche, um als Kavalier an dem damals im Gebirge stark betriebenen Kegelschieben sein Glück zu versuchen Nachdem er seine wenigen Sechser verkegelt hatte, bot er seine Goldkette und Ringe den Kegelbrüdern zum Kaufe an. Einigemale war ihm der Schwindel gelungen, aber immer an einem anderen Orte. Aber bald kam unter der Kegelgesellschaft der Betrug auf und Joukelnaz erhielt in der Schlagschenke eine tüchtige Tracht Prügel und ging seit dieser Zeit nicht mehr kegeln. Viele solche Streiche ließen sich von ihm noch berichten, doch soll nur noch eine Sache erwähnt werden, in der Joukelnaz der Geleimte war An einem schönen Montage machte eine Schar junger Burschen, dar¬ unter Friedels Seff, Bargergust, Schlosser Tonig, Fabrikenernst, Mahnel¬ manns Korl, mit noch einigen anderen Mitgliedern der roten Bande blau und berieten, was für einen Ulk sie ausführen könnten. Es kam folgender Plan zur Durchführung. Die Burschen kleideten sich alle in ihre schwarzen Anzüge mit Schößelrock, klebten sich Bärte an, setzten Brillen auf, nahmen einige Holzpflöcke und gingen zur Schneeschanze, wo sie mit einer langen Schnur die Felder gegen das Haus Joukelnazens abmaßen und Pflöcke ein¬ chlugen. Es dauerte nicht lange und Joukelnaz erschien auf dem Platze und chaute eine Weile dem Treiben auf seinem Grunde ruhig zu. Die Kom¬ mission arbeitete weiter, bis Jonkelnaz, von Neugierde getrieben, die Frage stellte, was hier eigentlich vorginge. Er erhielt zur Antwort: „Aufseinem Grunde werde eine große Fabrik gebaut und von der Haltestelle ein Geleise in die Fabrik gelegt. Hierauf maßen die Herren das Haus von allen Seiten wobei sie über heftigen Durst klagten Joukelnaz, in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft, rannte gleich in das Kellmerwirtshaus um einen großen Krug Bier und lud die Herrenzu einem Trunke in die Stube ein. Bei der Abhandlung über den Wert des Hauses und des Feldes bot ihm die Gesellschaft einen mehrfach höheren Preis, als die alte Bude und das Stückchen steiniger Grund wert waren. Aus Freude darüber ließ Joukelnaz einen Krug Bier nach dem anderen holen, worauf es die stets durstige Gesellschaft eigentlich abgesehen hatte. Joukelnaz aber wartete vergebens auf den Fabriksbau und das viele Geld, bis ihn seine Nachbarn über den Reinfall aufklärten Eines der letzten Mitglieder der Familie dürfte wohl die Joukel¬ Biemsche sein, die die Zuckerbude am Eck des Pfarrgartens in Besitz hatte und wenn ein Deutscher zu wenig bei ihr kaufte, ihn meist mit unflätigen Schimpfworten bedachte. Dieselbe starb vor einiger Zeit im Siechenhause in Gablonz Das Haus Nr. 117 der Familie Hübner führte den Spitznamen „bei Pfuckphilippen“. Die Ursache zu diesem Namen dürfte darin begründet sein, 192

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