Chronik der Stadt Reichenau

Daß es unter denEltern der Firmlinge auch geldgierige gab, beweist der Umstand, daß sie ihre Kinder zu mehreren wohlhabenden Familien schick ten, um sie als Firmpate zu bitten. Der uns durch seine bereits beschriebene Ausweisung aus Reichenau bekannte Schuster Lazina schickte seinen Jungen vor der Firmung im Jahre 1883 zu fünf Herren, um die Firmpatenstelle bei ihm zu übernehmen. Diese 5 Herren waren: Der Altförster (Stütz), der Ober=Müller (Josef Preißler), Kaufmann Anton Peukert Nr. 81, der Sei¬ bothmüller und der Glaswarenerzeuger Josef Maschke Nr. 88. Der Betrug wäre nicht entdeckt worden, wenn nicht bei der Firmung gleichzeitig der hinter dem Jungen stehende Obermüller und Josef Maschke die Hand auf die Schultern des Firmlings gelegt hätten. Der Junge wurde nach beendeter Firmung ins Verhör genommen und gestand den Schwindel ein. In einem anderen Falle geschah es, daß ein Junge, der den Postmeister Vinzenz Peukert als Firmpaten gebeten hatte und von diesem gleich als Geschenk 5 Gulden erhielt, erfreut ausrief: „Jetzt habe ich schon 20 Gulden, von jedem Firmpaten habe ich 5 Gulden erhalten Solche Fälle wären in Reichenau noch mehrere zu verzeichnen, doch kam das Doppelspiel in der Regel immer an den Tag. Wie die Taufpaten, wurden auch die Firmpaten zur Hochzeit eingeladen und hatten ihr Firmpatengeschenk zu verabreichen. Die heutigen Taufen finden meistens schon Nachmittag ohne oder höch¬ stens mit ein oder zwei Paten statt. Spitznamen von Häusern und Personen. Wenn vor 50 Jahren ein Fremder nach Reichenau kam und sich nach einer Person oder Partei nur nach dem Familiennamen erkundigte, so konnte er sicher keine Auskunft erhalten. Falls der Fremde aber den gebräuchlichen Spitznamen des Hauses oder der Person nannte, konnte er von jedem Kinde die nötige Auskunft erhalten Straßen= und Gassenbezeichnungen waren in jener Zeit bei uns noch unbekannte Dinge und zu viel Familien gab es mit dem Namen: Maschke, Hofrichter, Lang, Peukert, Preißler und andere mehr. Die meisten Bewohner von Reichenau wurden nach ihrem Gewerbe, körperlichem Gebrechen, oder eines Gewohnheitsausspruches mit einem betreffenden Spitznamen belegt. Ebenso war es mit den Häusern, die je nach ihrer Lage, Bauart oder einem in dem Hause betriebenen Handel mit einem besonderen Namen belegt wurden, welche sich oft durch Jahrhunderte unter der Bewohnerschaft fort¬ pflanzten und bis heute erhalten blieben. In erster Reihe sollen die Spitznamen der alten großen Bauernwirtschaf¬ ten untersucht und begründet werden. Zu der Hausnummer 1 gehörte am rechten Mohelkaufer der gesamte Grund bis zum Ortsteil „Grenze“ und wurde auf demselben nur Landwirt¬ schaft betrieben. Die von dem Besitzer erbaute zweite Mühle in Reichenau wurde nach dem Erbauer David Preißler ursprünglich „Davidmühle genannt. Es ist ja allgemein bekannt, daß unsere Muttersprache einen sehr groben Klang hat und so wurde aus dem David ein „Doft“ und aus der Davidmühle die „Doftmühle“. Ein Sohn des David Preißler erbaute das Wohnhaus Nr. 2 und betrieb darin eine Bäckerei und erhielt auch dieses Haus den Namen beim „Doftbäcken“. Ein Enkel, Anton Preißler, vertauschte in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sein Haus mit der 133

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