Chronik der Stadt Reichenau

Last und den ebenfalls angeheiterten Gevattern gemächlich nach Puletschnei und Radl. Erst von den Müttern wurde bei der Ankunft in der Heimat fest¬ gestellt, daß sie falsche Kinder aus der Taufe zurück erhielten. Beide Mütter waren vernünftig genug, sich gegenseitig die liebevolle und fürsorgliche Pflege der verwechselten Säuglinge über Nacht anzuvertrauen. Die Ufegaibe nahm deshalb ihren ungestörten und gemütlichen Verlauf, aber im zeitlichen Mor¬ gengrauen wurden die Hebammen von beiden Orten mit den Kindern zum Austausche geschickt und trafen sich schon bei der Zolkermühle, wo gleich die Auswechslung der vertauschten Kinder vollzogen wurde und die Hebammen rasch mit den richtigen Teiflichen bei den beglückten Müttern eintrafen. Bei den Ufegaiben war das mit dem „Klimpersäckel“ gehen ein allge¬ meiner Volksbrauch. Das Klimpersäckel bestand aus einem an einer Stange festgebundenen Säckchen oder mit den Zipfeln verknoteten Tuche mit einer oder mehreren Flaschen. Gewöhnlich fanden sich einige mit dem Kindelvater befreundete Burschen und Mädchen zusammen und gingen vor ein Fenster des Ufegaibehauses klimpern, indem sie die Flaschen in dem Säckchen zusammenschlugen. Durch das Fenster wurde das Säckchen in die Stube genommen und die Flaschen mit Schnaps gefüllt. Außerdem wurde Kuchen und anderes Gebäck oder auch ein Stückchen Braten in das Säckchen gefüllt und wieder hinaus gereicht, worauf die Klimperer mit ihrer Beute in ein Nachbarhaus verschwanden und ich daran gütlich taten. In den wohlhabenden Taufhäusern kamen die ärme ren Dorfbewohner durch mehrere Stunden mit dem Klimpersäckel, um einige Brocken und einen guten Trunk von dem Gelage zu erhalten In großen Bauernstuben wurde auch öfters bei den Ufegaiben bei einem Leierkasten oder Ziehharmonika getanzt Die heute noch üblichen Gründonnerstagsgeschenke waren für die mit Patenkindern gesegneten Familien alljährlich eine schwer belastende Aus¬ jabe. Der Wirtschaftsbesitzer Anton Preißler Nr. 33 (mein Vater) hatte vom Jahre 1864 bis 1869 alljährlich am Gründonnerstage über 60 Patenkinder zu beschenken und verkaufte durch diese Jahre stets eine Kuh, um die Kosten für die Geschenke aufzubringen. Die Kinder hatten häufig über den ganzen Gründonnerstag zu laufen, bis sie bei den vielen Paten ihre Geschenke eingesammelt hatten, die sie in der Regel vom ersten bis zum zwölften Lebensjahre erhielten Mit diesen Geschenken hörten jedoch die Pflichten der Paten noch nicht auf, sondern erstreckten sich bis zur Verheiratung, zu welcher die Paten noch als letztes ein Hochzeitsgeschenk in Geld oder Einrichtungsgegenständen zu verabreichen hatten. Zum Schlusse dieses Abschnittes soll noch einiges über die Firmung aus früherer Zeit geschrieben werden. Die Firmlinge der wohlhabenden Familien wählten sich einen Firmpaten aus ihrer Nachbarschaft oder Freundeskreise Die ärmeren Leute suchten sich jedoch ihre Firmpaten unter den reichen Familien und war es eine Ehrenpflicht, solche Bitten zu erfüllen. Bis um das Jahr 1800 war das übliche Firmgeschenk ein Silber=Zwan¬ ziger. Mit der Einführung einer neuen Geldwährung um diese Zeit erhielt der Firmling in der Regel einen Gulden Konventions=Münze. Die Zeit des Aufblühens der Industrie in unserer Gegend brachte es mit sich, daß auch in den Firmgeschenken ein Wandel zu Gunsten der Firmlinge eintrat. In den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren schon Firmgeschenke von 5 oder 10 Gulden, auch Taschenuhren, goldene Finger¬ ringe und Anzüge üblich. 137

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