Chronik der Stadt Reichenau

Goldenen=Bräutigam überdies zur Ehre des Tages eine neue rote Weste mit Silberknöpfen. Die Hochzeit war des Profites wegen nur als Koffejhuxt veranstaltet und hatte das alte Paar nach beendeter Feier einen beträchtlichen Reingewinn zu verzeichnen und war für lange Zeit der Nahrungssorgen enthoben. Es ging in Reichenau das Gerücht herum, daß die Rutweste mit seinem Weibe durch die von den Hochzeitsgästen gespendeten Kolatschen über ein Jahr mit Gebäck zum Kaffee versorgt gewesen sei. Wie die Hochzeiten, wurden auch die Taufen in früherer Zeit mit viel Paten und großem Aufwand vollzogen. Es war keine Seltenheit, daß zu einer Kindstaufe (Ufegaibe) dem jungen Täuflinge (Tejflich) 10, 15 bis 20 Paten gebeten wurden, die alle das neugeborene Kind auf seinem ersten Wege zur Kirche begleiteten. Vermögende Leute baten die Nachbarn, Verwandte und Freunde aus ererbtem Pflichtgefühl als Gevattern, während die ärmeren Volksschichten wegen des Patengeldes und der folgenden Gründonnerstagsgeschenke viele wohlhabende Paten nahmen. Ursprünglich wurden die Patenbriefe nur auf gewöhnliches Papier geschrieben und hatte der jeweilige Kantor das Privilegium, die Patenbriefe gegen die festgesetzte Gebühr von 3 Kreuzern zu schreiben. Seit Einführung der gedruckten, künstlerisch ausgestatteten Patenbriefe konnten sich die Paten die Briefe selbst schreiben. Die Taufen wurden früher erst in den Abendstunden abgehalten, wenn alle Paten versammelt waren und zum Taufgange bereit, wurde der kleine Teiflich auf den Tisch gelegt und einige Male im Kreise herumgedreht, damit er im späteren Leben ein guter Tänzer werde. Beim überschreiten der Türschwelle sprach die Hebamme „Einen Heiden tragen wir ort und einen Christen bringen wir wieder“. Bei den Bauern wurde im Winter mit Schlitten zur Taufe gefahren und war es Sitte, daß der Kutscher in einer Windwehe den Schlitten durch geschicktes Lenken zur Belustigung der Paten umwarf und die gesamte Taufgesellschaft mit dem Täuflinge im Schnee herumkugelte Nach beendeter Taufe wurde der Pfarrer in die Ufegaibe eingeladen und die Gevatterschaft begab sich vor dem Heimwege zu einer Stärkung zum Bäcklangen (Nr. 76) und der Teiflich wurde reich durch Wein und Schnaps begossen. Nach Erbauung des Gasthauses „Zur Stadt Prag“ kehrten die Gevatterschaften und Hochzeiten dort auf einen guten Trunk ein. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts lebte nach den Gerüchten alter Leute in Reichenau eine dem Trunke ergebene Hebamme, die alte Christelschnei derin, welche öfters bei diesen Wirtshausgelagen arge Verwirrung anrich tete. Bei einer Taufe aus Kaschen (Puschnazen) vergaß die stark angetrun¬ kene Hebamme, die den Täufling zu tragen hatte, das Kind im Bäcklang¬ wirtshause und die ebenfalls angeheiterten Gevattern bemerkten auf dem Heimwege das Fehlen des Täuflings nicht. Erst bei Ankunft in Kaschen gab es eine überraschung, als die Mutter zu ihrem Schreck das Fehlen ihres Lieblings entdeckte. Ein schleunigst abgesandter Bote fand den Teiflich im üßen Schlummer im Wirtshause auf dem Bett und brachte ihn rasch der besorgten Mutter, worauf die Ufegaibe ihren Anfang nahm. In einem anderen Falle passierte es, daß an einem Abende eine Taufe aus Puletschnei und eine andere aus Radl stattfand, beim Einkehren in das Gasthaus legten beide Hebammen ihre Täuflinge nebeneinander auf das Bett und labten sich durch einige Kümmelschnäpse. Beim Antreten des Heim¬ weges verwechselten jedoch die verkümmelten Hebammen die nebeneinander liegenden Kinder, beide in weißen Steckkissen, und wandelten mit der falschen 136

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