Chronik der Stadt Reichenau

lichen Trauung abzuholen. Aber o grausames Schicksal! Die Braut war verschwunden. Erst nach langem Suchen an allen Ecken und Enden ließ sie sich vom Bräutigam finden. War die Braut noch unschuldig, das heißt, wenn sie im ledigen Stande noch kein Kind geboren hatte, konnte sie mit Kranz und Schleier vor den Altar treten. An dieser Volkssitte wurde in früherer Zeit strenge festgehal¬ en, und wehe der Braut, die gegen diese Sitte verstieß Einer Tochter des nach Amerika ausgewanderten „Houfejusel“ Nr. 20 passierte es, als sie im schwangeren Zustande mit Schleier und Myrten¬ kranz geschmückt als Braut vor den Traualtar trat, daß sie von den zur Brautmesse erschienenen Dorfmädchen empört arg verprügelt und ihr der jungfräuliche Schmuck, Kranz und Schleier vom Kopfe gerissen wurde. Um weitere Ausschreitungen zu verhindern, schob Pfarrer Franz Neuber die bedrohte Braut in die Sakristei und beruhigte die empörten Mädchen mit der Versicherung, daß er die Braut nur ohne Kranz und Schleier trauen wverde. Die Mädchen verließen auf Verlangen des Pfarrers die Kirche und die gewaltsam unterbrochene Trauung konnte zu Ende geführt werden Wenn der Bräutigam mit der Braut und den Hochzeitsgästen zur Trau¬ ung in die Kirche zog, wurde der Hochzeitszug oft nach wenigen Schritten von über den Weg gespannten, mit bunten Bändern verzierten Schnuren aufgehalten, die von Kindern und auch von maskierten Erwachsenen an bei¬ den Seiten gehalten wurden. Der Bräutigam mußte sich durch eine Geld¬ spende den Weg frei kaufen und hatte zu diesem Zwecke stets eine Tasche voll Kupfermünzen in Bereitschaft. Dieses Aufhalten des Hochzeitszuges hieß im Volksmunde „Vihrziehen“ und ist heute noch gebräuchlich. Nachmittag versammelten sich die Hochzeitsgäste im Hause der Braut zum Schmause, bei welchem häufig eine Musikkapelle aufspielte. Nach been¬ deter Tafel ging der Huxtbitter mit einem Teller von Gast zu Gast, um die Hochzeitsgeschenke einzusammeln, die aus Geld und verschiedenen Einrich¬ tungsgegenständen, wie Wanduhren, Bildern, Kaffeemühlen oder Wäsche bestanden. Auch seine Person und die Köchin vergaß der Huxtbitter nicht, ondern ging mit einem Teller für seine und der Köchin Mühe ein Scherf¬ ein einsammeln. Abends spielte dann die Musikkapelle vor dem Hause einen Marsch, worauf sich die Gäste zu einem Zuge zusammenschlossen, voran das Braut¬ paar, um unter den Klängen der Musik nach einem Saale zum Hochzeits¬ kränzchen (Huxtbieroubte) zu marschieren. War im Hochzeitshause eine ge¬ nügend große Stube vorhanden, wurde der Huxtbieroubt im eigenen Hause abgehalten. Den alten Leuten wurden Ländler aus der Großväterzeit ge¬ pielt, welche sie allein (Solo) tanzten. Mit Verwunderung blickte dann die Jugend auf die oft über 80 Jahre alten, weißhaarigen Paare, wenn diese mit Ausdauer die Tänze ihrer eigenen Jugendzeit ausführten. Die Huxtbieroubte dehnten sich oft bis in die Vormittagsstunden des nächsten Tages aus. Eine große Zuschauermenge fand sich ein und die Sei¬ tenbänke des Saales waren gewöhnlich von den alten Weibern des Dorfes besetzt. Häufig kam es bei den Huxtbieroubten wegen einer Dorfschönen zu einer wüsten Schlägerei, bei welcher Tisch= und Stuhlbeine in Anwen¬ dung kamen. Am zweiten Hochzeitstage versammelten sich die Gäste im Hause des Bräutigams zur Nachhochzeit und abends fand in der Regel noch ein zweiter Huxtbieroubt statt. Am dritten Tage ging das am entferntesten wohnende Gästepaar zum nächsten und so ging der Zug weiter, oft von einem Leierkasten oder einer Ziehharmonika begleitet, überall mit Bier, Schnaps, oder bei den Bauern 184

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