Chronik der Stadt Reichenau

Guldenrechnung mit der Begründung: So lange das alte Geld im Umlaufe ist, müssen die Beträge auf Rechnungen in Gulden und Kreuzern von den Geschäften, der Post und den Steuerämtern anerkannt werden. Erst nach ungefähr 10 Jahren, als die letzten Silbergulden aus dem Verkehre gezogen wurden, kam unter der Jugend das Rechnen nach Kronen und Hellern allmählich zur Geltung. Sitten und Gebräuche bei Hochzeiten und Taufen. Unsere heutige Bürgerschaft kann sich im Geiste nur schwer eine Vor¬ stellung machen über einen Hochzeitszug auf dem Wege zur kirchlichen Trau¬ ung in der guten alten Zeit. Autos und Gummilandauer waren in jener Zeit noch unbekannte Dinge und das Brautpaar mit den Hochzeitsgästen, oft 30 bis 50 Paare, wandelten den Weg zur Kirche gar gemächlich zu Fuße. Das Heiraten nahm damals überhaupt einen viel langsameren Verlauf als in unserer heutigen, vom rasenden Schnelligkeitsfieber erfaßten Zeit Ein jahrelanger Brautstand war notwendig, um sich für den späteren Ehestand genügend kennen zu lernen. Es sind viele Fälle bekannt, daß die Braut oft 15 bis 18 Jahre dem zum Militärdienste eingerückten Bräutigam die Treue bewahrte und geduldig auf dessen Heimkehr wartete, oft ohne über die ganze Zeit ein Lebenszeichen von ihm zu erhalten. Kam es dann endlich zu der langersehnten Hochzeit, so fand dieselbe unter großem Gepränge und Teilnahme der gesamten Verwandtschaft und Nachbarschaft statt. Acht Tage vor der Trauung wurde der Hochzeitslader (Huxtbitter) im schwarzen Anzuge mit großem Blumenstrauße an der Brust zu den Freunden, Nachbarn und Verwandten geschickt, um sie mit geziemen¬ der Achtung zur Hochzeit einzuladen. Bei vermögenden Leuten wurde die Hochzeit bei mehreren Sorten Bra¬ ten und vielerlei Getränken gefeiert und wurde im Volksmunde als „Flejsch¬ huxt“ bezeichnet. Die minderbemittelten Brautpaare machten nur eine Kaffee=Hochzeit (Koffejhuxt), welche bedeutend mindere Kosten verursachte, da den Gästen nur Kaffee und Kuchen gereicht wurde. Eine solche Koffejhuxt warf dem Brautpaare stets einen größeren Reinertrag ab. Wo im Hause der Braut ein genügend großer Raum für die Bewirtung der Gäste zur Verfügung stand, wurde die Hochzeit im eigenen Hause abge¬ halten. Wenn die Stube im Hause zu klein war, fand das Festessen in einem größeren Saale statt. Zu den meisten Hochzeiten wurden bis vor 50 Jahren in der Regel 30 bis 50 Paar Gäste eingeladen, die meistens auch alle er¬ schienen. Als letzter volkstümlicher Huxtbitter dürfte wohl der Dosendreher Flo¬ rian Vogt (Vochtflor) zu bezeichnen sein, welcher dieses Amtes über 50 Jahre waltete. Beim Einladen der Gäste berechnete er ihnen schon den Be¬ trag, welchen sie dem Brautpaare als Hochzeitsgeschenk zu verabreichen hät¬ ten. Bei einer Koffejhuxt nannte er den Betrag von zwei bis drei Gulden hinreichend, bei einer Flejschhuxt hingegen fünf bis sechs Gulden. Am Tage vor der Hochzeit schickten die Hochzeitsgäste einen beim Bäcker bestellten Ko¬ latsch, ein rundes geflochtenes Gebäck von 70 bis 80 cm Durchmesser als Beisteuer zur Beköstigung in das Hochzeitshaus. Am Hochzeitstage vormittag versammelten sich die Gäste in den Häusern der Braut und des Bräutigams, wo sie mit Kaffee und Kuchen, Bier, Wein und Schnaps bewirtet wurden. Nach Beendigung der Tafel zog der Bräu¬ tigam mit seinen Hochzeitsgästen zum Hause der Braut, um sie zur kirch¬ 183

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