Chronik der Stadt Reichenau

Maler Anton Seidel Nr. 313 (heutiger Besitzer Adolf Blaschke), und noch heute wird der Kasten zum Aushängen der Nummern in dem Hause als Erinnerung an die einstmalige Lotterie aufbewahrt Nach Errichtung der Bezirkshauptmannschaft, Bezirksgerichtes und Steueramtes nach der Revolution im Jahre 1848 erhielt Gablonz eine k. k. Lottokollektur, die sich im Hause des Kaufmannes Unger, Ecke Gewerbe= und Schulgasse, befand. Um das Jahr 1880 bewarb sich der Gastwirt Franz Pietsch Nr. 68 um eine k. k. Lotteriekollektur, doch wurde ihm dieselbe von k. k. Finanzamte aus gewissen Gründen nicht bewilligt. Wiewohl allen Anstalten irgendwelche Wettbewerber das Verdienst streitig machen, so erstanden neben der k. k. Lotterie auch die blauen oder blinden Winkellotterien. Auch der Bevölkerung von Reichenau wurde in früherer Zeit und auch heute noch Gelegenheit geboten, auch ohne k. k. Lottokollektur dem Lotteriespiele ihr mit Mühe verdientes Geld zu opfern. Soweit sich der Verfasser aus früherer Zeit erinnern kann, befaßten sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Familien Jakobs Tounel Nr. 217, Bareschel Nr. 130 in Reichenau und Kasebäcke in Puletschnei nit der blauen Lotterie. Auch in der Gegenwart blüht das blinde Lotterie¬ wesen wieder auf, obwohl in Böhmen die Nummernlotterie aufgelassen wurde und die heutigen Winkelkollekteure die Gewinstnummern aus frem¬ den Staaten (Österreich) beziehen. Schwer hatte die blaue Lotterie mit Strafgesetzen und der Finanzwache um ihr Dasein zu kämpfen, in allerlei Verkleidung bewachten an den Zie hungstagen Mittwoch und Samstag die Finanzer die Häuser der blauen Lotterieeinschreiber und die dort ein= und ausgehenden Leute, aber nur selten glückte ihnen ein Fang. Eines Tages kamen sogar als Maurer verkleidete Finanzer in das Haus des Einschreibers Lejsek Nr. 199 und baten um Un¬ terkunft und Verköstigung. Lejsek erkannte jedoch die Stimmen und die ihm gestellte Falle und wies die Leute ab. Eine schwierige Aufgabe war auch am Mittwoch und Samstag das übertragen der gesetzten Nummern nach Gablonz zum übernehmer des Spieles. Unter dem Futter der Kleidung, im Hutfutter, ja selbst unter doppelt besohlten Schuhen wurden die Nummern nach Gablonz gepascht, bis die Finanzer auch diese Verstecke ausfindig machten. In den 90er Jahren ließ Lejsek das Spiel durch die Freunde seines Sohnes nach Gablonz schmug¬ geln. Der Verfasser, als Freund des jungen Lejsek, beteiligte sich in seiner Jugend aus Abenteuerlust selbst an der Nummernpascherei. In einem alten Stiefel trug ich die Nummern aus dem Hause, wartete beim Schulkreuze, bis Leisek Franz hinter der Kirche am Schutzengelwege gegen Gutbrunn ging. Ich folgte ihm auf dem Gablonzer Wege in einem längeren Abstande. Beim Habel=Wirtshause in Gutbrunn erschienen plötzlich zwei Finanzer, welche Lejsek stellten, ihn durchsuchten, aber nichts fanden. Ich trottete immer in längerem Abstande hinter ihm her. Vor dem Kesselsteine sprangen wieder einige Finanzer aus dem Walde, die über Lejsek herfielen, welcher sich auch hohnlachend durchsuchen ließ, als sie nichts fanden, konnte er seinen Weg fortsetzen. In der Stadt verringerte ich den Abstand und sah Lejsek im Hofe des Gasthauses „Zur Stadt Karlsbad“ verschwinden. Ich folgte ihm rasch und in wenigen Minuten war die übergabe des Spieles an einen dort war¬ tenden Vertrauten vollzogen. Ungeschoren traten wir den Heimweg an und ich empfand aufrichtige Freude, die Finanzer mit hintergangen zu haben. Die blauen Einschreiber machten beim Nummernfortschaffen nach Gablonz 12“ 179

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2