Chronik der Stadt Reichenau

den hierauf entfallenden Betrag nicht bar ausgezahlt, sondern nur hundert¬ tausend Gulden in sicheren verzinsbaren Staatspapieren und eine lebens¬ längliche Rente Oft kam es vor, daß die Gewinner größerer Geldsummen auch der armen Waisenkinder gedachten, die die Gewinstnummern gezogen hatten und ihnen zu ihrem Glück verhalfen, einen größeren Betrag schenkten oder sie als eigen annahmen. Die berittenen Boten, welche die Gewinstnummern an die im Lande ver¬ treuten Kollekturen überbrachten, mußten in verschiedenen Poststationen mit bereitstehenden Pferden die ihrigen wechseln und trafen von Prag erst am nächsten Tage in Liebenau, Reichenberg und Friedland ein, von Wien gar erst am übernächsten Tage. Gablonz hatte damals noch keine kaiserliche Lotterie. Daß es in jener Zeit auch schon erfinderische Köpfe gab, welche die Lotterie durch technische Mittel zu ihrem Vorteile ausnützten, beweist die geschichtliche Tatsache, daß im Anfange des 19. Jahrhunderts eine Bande durch verbrecherische An¬ chläge die Lotterie schwer schädigte und die Kollekturen der benachbarten Städte zum Bankerott führten. Die Verbrecherbande, deren Oberhaupt der sogenannte „Lotteriekönig John aus Grünwald war, übermittelte die gezogenen Nummern von einer Anhöhe bei Prag in stockfinsteren Nächten durch optische Lichtsignale über zwischenliegende Berge auf die Trosky (Jungfernspitzen). Dort wurden die Nummernsignale aufgefangen und von dort postierten Leuten auf den Bösig¬ berg und Jeschken weiter gegeben. Die auf dem Jeschken aufgefangenen Nummern wurden am folgenden Vormittage in den Kollekturen unter an¬ deren Nummern vermischt, mit höheren Beträgen gesetzt. Wenn dann der berittene Bote mit den wirklichen Nummern in der Kollektur eintraf, konnte die Bande stets große Gewinste einstreichen Dieser Lotteriebetrug wurde von der Gesellschaft jahrlang betrieben, bis die geschädigten Kollekturen trotz Hingabe ihres eigenen Vermögens die Ge¬ winne nicht mehr auszahlen konnten. Trotz eifriger Nachforschung nach der Ursache der übermäßigen Gewinne konnte das Geheimnis lange nicht ergründet werden, nur war es aufgefal¬ len, daß unter den zuletzt gemachten Einsätzen sich die größten Gewinne befanden. Die Kollekturen nahmen deshalb von jetzt ab nur noch Mittwoch und Samstag bis um 3 Uhr, der Stunde der Ziehungen, Einsätze an. Den Lotteriekünstlern blieb nun keine Zeit mehr zur Nummernübertragung und mit einem Schlage hörten die übermäßigen Gewinne auf und die Kollekturen waren gerettet und atmeten erleichtert auf. Die Lotteriebande, die durch die Vorsichtsmaßregeln der Kollekteure nun ihren Betrieb einstellen mußte, suchte sich ein neues Betätigungsfeld und befaßte sich mit der an späterer Stelle beschriebenen Geldpascherei und Geld¬ fälschung. In Reichenau war zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Lotto¬ kollektur im Hause Nr. 262 (Katelliese). In späterer Zeit hatte der Maler Anton Ullrich Nr. 58 (heute Naze Schöffel) eine Filiale von der Liebenauer Kollektur bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Inhaber der Filiale Anton Ullrich hatte das Spiel und Geld an den Ziehungstagen bis um 3 Uhr nachmittags in Liebenau abzuliefern, die Gewinste zu beheben und an die Spieler in Reichenau auszuzahlen. Für diese Arbeit erhielt Ullrich von den Einsätzen und Auszahlungen eien bestimmten Prozentsatz als Entlohnung. Die vom Maler Anton Ullrich betriebene Zweigstelle der Liebenauer Lotterie überging nach dessen übersiedlung nach Gablonz an den 173

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