Chronik der Stadt Reichenau

Schnaps auftischen, ein schwacher Junge trank zuviel von dem Fusel und starb am nächsten Tage an Entzündung der inneren Organe. (Alkoholver¬ giftung.) noch aus der germanischen Heidenzeit wohl Ein Volksbrauch, sich der schon über 1000 Jahre auf unsere Generation vererbt hat, sind die Sonn¬ wend= oder Johannisfeuer. Die Sonnwendfeuer werden seit neuer Zeit von den deutschvölkischen Ortsvereinen veranstaltet. Es wird vom Bun¬ desheime mit Musik und Fackeln zum Feuerplatze marschiert. Nach Anbren¬ nen des Feuers spricht ein Redner über die Bedeutung des Tages, die Ge¬ sangvereine trugen Chöre vor und nach Beendigung der Feier wurde in geschlossenem Zuge der Rückmarsch angetreten. Die Johannisfeuer werden am Vorabende des heil. Johannes auf den Bergeshöhen angezündet. Am Tage tragen die Jungen das nötige Brenn¬ material zusammen. Wochenlang vorher schon werden von der Jugend alle gebrannten Rutenbesen gesammelt, die dann am Feuer angezündet und im Kreise geschwungen werden. Die abgebrannten Besenstummel werden in die Kraut= und Rübenfelder gesteckt, um sie vor Hasenfraß zu schützen. In der Regel umlagerten auch ältere Burschen und Männer das Feuer, alte Sagen und Geschichten werden erzählt, öfters erklingt auch ein trautes Volkslied. Ein weiteres Feld der Volkssitten war und ist heute noch das Kirchen¬ fest (die Fohrt) am 28. September. Bis zum Jahre 1860 standen die Ver¬ kaufsstände auf dem Kirchenplatze und wurden von diesem Jahre ab auf dem heutigen Marktplatze die Feste abgehalten, wodurch der Gemeindekasse bedeutende Beträge an Standgeld für die Verkaufsstände, Schaukeln, Ka¬ russelle, Schießbuden und andere Schaustellungen zuflossen. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war am Fohrtmountsche noch voller Betrieb am Markte, heute bleibt höchstens eine Schaukel noch einige Tage nach dem Feste tehen. In früherer Zeit wurden viele Verwandte und Freunde aus der Umgebung als Gäste zur Fohrt eingeladen, auch dieser Brauch ist im Ver¬ chwinden begriffen. Mit größerem Gepränge wurde die Kirchweih (Körmst) begangen. Be¬ reits der Samstagabend wurde dem Tanze gewidmet. Am Kirmstsonntage kamen geladene und ungeladene Gäste aus Freundes= und Bekanntenkreisen, es wurde an Speisen aufgetragen, daß, wie es im Sprichwort heißt, sich der Tisch bog. Hauptsächlich unter dem Bauernstande bürgerte sich die Sitte des gegenseitigen Besuchens ein. Vom Sommer bis in den späten Herbst wurde die Kirmst an jedem Sonntage an einem anderen Orte gefeiert, sodaß die Besuche und Prasserei kein Ende nahmen und in der guten alten Zeit vier Monate dauerten, wodurch alljährlich ein großes Volksvermögen vergendet wurde. Kaiser Josef II. stellte diese Schlemmerei in der ganzen Monarchie ein und ordnete durch ein Gesetz an, daß in Hinkunft die Kirmes an allen Orten an einem Sonntage in der Mitte des Monats Oktober zugleich gefei¬ ert werden muß. So blieb von der früheren Kirmesherrlichkeit nur noch die Kaiserkirmes erhalten. Nach dem Kirmstsonntage fanden bis zu Ende des 19. Jahrhunderts fast alle Tage bis Mittwoch oder Donnerstag Volksbelustigungen, wie Hahn¬ chlagen, Ritterstechen oder andere statt. Fast alle Vereine hielten ein Hahn¬ schlagen mit darauffolgendem Ball ab. Bis zum Jahre 1859 fand am Kir¬ mesdonnerstage in der alten Schänke ein Bockstürzen statt. Der Vorgang bei diesem Volksvergnügen war folgender: Ein lebendiger Ziegenbock wurde auf einem langen und schmalen Brette aus dem obersten Dachfenster der Schänke weit herausgeschoben. Der Bock machte alle Versuche, auf dem 151

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