Chronik der Stadt Reichenau

lebte seinen Ferienurlaub bei Verwandten in der betreffenden Ortschaft Da sich der Vorfall von roter Milch im Laufe der Jahre öfters im Herbste gezeigt hatte, ging der Student der Sache auf den Grund und fand bei längerer Beobachtung, daß nur jene Kühe rote Milch gaben, welche im Herbste auf der Weide von einer mit dem Namen „Albe“ bezeichneten Strauchart gefressen hatten. Das blutige Milchgeben der Kühe war nun auf¬ geklärt, aber zu spät kam die Erkenntnis, daß ein junges Menschenleben unschuldig dem Aberglauben geopfert wurde. Aber auch unsere Bevölkerung in Reichenau war mit Leib und Seele dem Aberglauben verfallen. Viele Beispiele ließen sich anführen aus dieser dunklen Zeit Die Geistlichkeit wäre zur Aufklärung des Volkes berufen gewesen, sie tat aber nichts. Im Gegenteile bestärkte sie die Leute in ihrem Wahne, ging mit dem Weihwedel in Häuser und Ställe, um von verhextem Vieh und Mensch den Teufel und die bösen Geister auszutreiben Das unwissende Volk von Reichenau schwor darauf, daß bei den vom Garnhandel reichgewordenen Leuten, wie bei Pauerchristeln, Sammelbauer, Flachsmann und Michelschneider ein feuriger Drache in finsteren Nächten das Geld durch den Kamin in die Häuser trage und viele Leute behaupteten, das feurige Ungeheuer mit eigenen Augen gesehen zu haben Besonders gefürchtet waren in jener Zeit die mit den Augen schielenden Leute, es hieß von ihnen, daß sie mit dem bösen Blick behaftet wären und den sie ansähen, dem drohe ein Unheil. Wenn sich jemand den Magen überfüllt hatte und sich erbrechen mußte, den hatte jemand beschrien. Kinder mit der englischen Krankheit hatten nach der Meinung der Leute das Maß verloren und wurden von in der Heilkunst verrusenen alten Weibern auf den Fu߬ boden gelegt und mit einem Zwirnfaden nach allen Seiten kreuz und quer gemessen. Viele körperliche Gebrechen an Kindern und auch an Erwachsenen wurden versengt (versegnet) und standen die Familien Massopust (ahle Rechters) in Puletschnei weit und breit in dem berühmten Rufe, im Ver¬ engen Wunder wirken zu können. Wie nach Gallspach zu dem Allerwelts¬ doktor Zeileis strömten noch vor wenig Jahren die Leute weit aus den tschechischen Gegenden, die deutschen bis weit aus dem Lande, ja sogar viele aus dem Deutschen Reiche, an Samstagen und Sonntags früh bei abneh¬ mendem Monde in Prozessionen mit Fuhrwerken, Kinderwagen und Kinder am Rücken mit verschiedenen Gebrechen zu den „Ahle Rechterleuten“ nach Puletschnei, um durch Bestreichen und leise gemurmelte Sprüche von den Leiden befreit zu werden. Schweres Geld hamsterten die Puletschneier Heil¬ künstler durch ihre Methode ein und es mag nicht bezweifelt werden, daß dieses Versengen auch in vielen Fällen gute Erfolge gezeitigt hat, denn sonst würde sich der gute Ruf des Versengens nicht durch fast ein Jahrhundert wie eine Wundertätigkeit erhalten haben, da ja heute noch viele Leute an die Wirkung glauben und das Versengen auch heute noch üblich ist. Ein anderer Zweig des früheren Aberglaubens war „Die wilde Jagd“ An finsteren, stürmischen Abenden ritten nach dem Glauben der geistig rück¬ ständigen Leute die wilden Jäger durch Wald, Feld und Ortschaften. Wenn jemand neugierig war und ein Fenster öffnete, um die wilden Jäger zu ehen, dem flog auch schon ein hinteres Viertel Pferdefleisch durch das Fenster an den Kopf. Es wurden sogar von den alten Leuten die Häuser genannt, in welchen sich die Vorgänge abgespielt haben sollten. Andere Leute wollten zu verschiedenen Nachtzeiten feurige Tiere gesehen haben. Die alte Hannswenzeln Nr. 31, die die meisten Tage nach Gablonz in die Häuser waschen ging, behauptete fest, in den frühen Morgenstunden 149

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