Chronik der Stadt Reichenau

hatte, erkannt worden, der einen nahestehenden Polizisten anrief, um ihn verhaften zu lassen. Er entfloh jedoch vor dem Wachmanne durch die Gassen und wollte über die Karlsbrücke nach der Kleinseite in seinen Schlupfwinkel entkommen. Am Gehsteg der Brücke versperrten ihm zwei entgegenkommende Kinder den Weg, die er als Hindernis kurzerhand über das Geländer in die Moldau warf. Bevor er aber das Brückenende erreicht hatte, versperrte ihm chon Polizei und Volk den Weg in die Freiheit, er wurde trotz Gegenwehr von der Polizei überwältigt, verhaftet und in sicheren Gewahrsam gebracht. Kasimier bezog nach seiner Rückkehr im Ortsteile Hinterbusch in der Nähe einer ehemaligen Genossen eine Wohnung und fristete sein Leben fernerhin durch Herstellung von Tuchschuhen, die er dann im Gebirge verhausierte. Er selbst ging stets, Sommer und Winter, bei Regen und Schneepantsche, in selbstgemachten Tuchschuhen und wurde dadurch eine volkstümliche Figur. Ausnahmsweise zu einer Hochzeit ging er in eleganten Lackschuhen, schwar¬ zem Frackanzug und Zylinderhut. An Stelle der zu dieser Aufmachung pas¬ senden Zigarre rauchte er nur eine lange Pfeife und blies mächtige Rauch¬ wolken in die Luft. Nach dem Aufblühen der Industrie und der Errichtung der Gendarme¬ rieposten in der näheren Umgebung kam in Reichenau selten mehr ein Diebstahl vor, da sich auch die ärmste Bevölkerung mit gutem Willen und Arbeitslust immer ein hübsches Stück Geld zu einem erträglichen Leben ver¬ dienen konnte. Aberglaube und Volksbräuche in der Vergangenheit. Die gute, alte Zeit —hört man wohl heute noch manche alte Leute agen. Ob aber wirklich diese im Strome der Zeit entschwundene alte Zeit wirklich immer so gut war, mag eine von uns ungelöste Frage bleiben. Die Tatsache bleibt bestehen, daß in früherer Zeit, ja selbst noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts, der römischen Kirche viel daran gelegen war, in den breiten und unwissenden Volksschichten den Aberglauben an böse Geister, Hexen und Zauberei zu züchten. Zahllos sind uns aus der Geschichte Fälle von grauenhaften Folterungen unschuldiger Männer, Frauen, Mädchen, ja selbst halbwüchsigen Kindern bekannt. Die Folterungen wurden in drei Graden vollzogen, von welchem wohl der 3. Grad am schrecklichsten für den Gefolterten war. Er bestand aus der Streckleiter und dem Rade. In dem 1. und 2. Grade war das in=den=Bock=spannen, die Daumschrauben, mit blo¬ ßen Füßen über=glühende=Eisenplatten=gehen, die rechte Hand in siedendes Ol halten, als Vorstufen zum 3. Foltergrade vorgeschrieben. Diese Torturen an dem eines Vergehens Beschuldigten wurden im Beisein der Geistlichkeit und des hohen Gerichtes vollzogen. Wenn der oft unschuldig Gefolterte in den ersten Graden noch kein Geständnis ablegte, wurde er auf der Streck¬ leiter mit den Füßen an der untersten Sprosse festgebunden und an den über den Kopf gebundenen Händen durch Hebel von den Henkersknechten hoch gezogen, wodurch dem Gefolterten die Glieder ausgerenkt und die Sehnen zerrissen wurden. Wer standhaft genug war, die gräßlichen Qualen auszuhalten, ohne sich ein Geständnis, mit dem Teufel im Bunde zu sein, erpressen zu lassen, wurde wohl manchmal freigesprochen, war aber für die Zeit seines Lebens ein armer Krüppel. Wenn in alter Zeit in irgend einem Orte eine Krankheit unter Menschen oder Tieren ausbrach oder sonst ein Unheil geschah, wurde ein der Sache ganz fernstehendes Opfer der Schuld an dem Unheil geziehen. Auch die damalige Bevölkerung wollte von Zeit zu 10* 147

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