Chronik der Stadt Reichenau

Grenzjägern bis Reichenau verfolgt, entkam ihnen aber im Grundloche, indem er sich hinter dem Wasserdurchlasse in den Sträuchern versteckte. Er hörte in seinem Verstecke die Finanzer nahe bei sich vorüber gehen, um ihnen nach einer Weile nachzuschleichen und wußte nun, daß sie ihn bei einem Hause ablauern wollten. Hoffmann verbarg seine Hocke bei Neu¬ pauers Nr. 82 unter trockenem Strohmiste und ging dann ganz gemütlich, ein Liedchen vor sich hinpfeifend, seiner von den Finanzern umstellten Be¬ hausung zu. Vor der Haustür wurde er von den Grenzwächtern angehalten und unter Bedeckung in die Stube geleitet. Dort wurde er gründlich durch¬ sucht, es fand sich aber bei ihm nichts, als eine Tabakpfeife und Beutel mit zufällig österreichischem Kommistabak und einige Sechser Geld, die Finan¬ zer aber mußten wütend mit langer Nase ohne Konterbande abziehen. Am nächsten Morgen holte sich Hoffmann zeitig seine Hocke vergnügt aus dem Misthaufen. Ein anderesmal kam Hoffmann von Görlitz und hatte beson¬ ders wertvolle Paschware auf seinem Rücken. Vor Seidenberg traf er mit einem befreundeten Gendarm zusammen, mit welchem er einige Jahre beim Militär gedient hatte und der das Gewerbe Hoffmanns gut kannte. Um den Freund mit seiner Ware auf kurzem Wege unbehindert durch die ge¬ fährliche Zone der Finanzwache zu bringen, schlug er ihm vor, sich Hand¬ schellen anlegen zu lassen, er würde ihn unbelästigt direkt am Zollhause vor¬ über führen. Hoffmann ging auf den Plan ein, ließ sich die Hände fesseln und ging stramm drei Schritte vor dem Gendarm am Zollhause vorüber. Im nächsten Walde wurde die Fessel abgenommen, beide verabschiedeten sich und Hoffmann kam mit seiner Hocke ungeschoren heim. So schlug eine Wache der anderen ein Schnippchen. Viele solche Stückchen ließen sich noch erzählen und bis heute ist die Pa¬ cherei noch üblich, teils aus Lust zu Abenteuern und anderenteils aus Gewinnsucht. Die gewerbsmäßige Pascherei in Reichenau hat jedoch mit dem Aufblühen der Industrie zu Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich aufgehört Ansere berüchtigte Räuberbande in früherer Zeit. Obwohl unsere heutige Bürgerschaft kein Verschulden trifft für die un¬ icheren Verhältnisse der früheren Zeit in Reichenau, so muß der Wahrheit doch die Ehre gegeben und gesagt werden, daß der Ort Reichenau bis um das Ende der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts in der weiteren Um¬ gebung gar übel beleumdet, verrufen und gefürchtet war; wegen der großen Schlägereien und Messerstechereien bei den Tanzmusiken und anderen An¬ gelegenheiten, Unsicherheit auf Weg und Steg in der Dunkelheit, sowie der vielen Diebstähle im Orte und der Umgebung. Die Lage des Ortes war günstig geschaffen für die Verbrecher; die mei¬ ten Ortsteile, wie Kaschen, Hinterbusch, Fuchsbresche und Heiligenkreuz waren noch hinter dem Walde verborgen, das Maukeloch und die Liskaschlucht waren den Diebsgenossen willkommener Unterschlupf. Hauptsächlich Hinter¬ busch und Heiligenkreuz waren die gefürchteten Heime der Diebsbande. Es wurde in meiner Jugendzeit und auch heute noch von alten Leuten gar vieles von der Räuberbande Steidler, Gebrüder Krause und Ka¬ imier erzählt. So viel dem Verfasser von diesen Berichten noch in Er¬ innerung und aus den hinterlassenen Schriften des Malers Anton Ullrich Nr. 58 zu erfassen ist, soll hier für die Nachwelt niedergeschrieben werden 143

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