Chronik der Stadt Reichenau

mit Kriegsauszeichnungen und Medaillen an die Brust geheftet, die sie sich in den italienischen, schleswig=holsteinischen Feldzügen und im Preußen¬ Kriege erworben hatten Im Jahre 1872 lösten sich die Radler Veteranen vom Reichenauer Stammvereine los und gründeten einen eigenen Verein, den später auch die Vereinsgründung der Puletschneier Veteranen mit den Daleschitzern, Klitschneiern und Kopainern folgte. Turnverein. Dr. Franz Möller war auch um die Ertüchtigung und einer geordneten Leibesübung der Jugend besorgt und regte die Gründung eines Turn¬ vereines an. Kurz nach der Entstehung des Veteranenvereines wurde im Jahre 1864 auch die Gründung des Turnvereines vollzogen, deren eifriger Förderer ebenfalls Dr. Möller war. Das Vereinslokal der Turner, welche sich haupt¬ ächlich aus dem Malerstande gruppierten, war bei der Katelliesen (Vereins¬ halle) und ihr erster Sprechwart Dr. Möller. Der Turnplatz befand sich auf der Wiese zwischen dem alten Saale und der Schleifmühle des Franz Sedlak. Zur Richtigstellung der Bezeichnung „Schleifmühle“ sei erwähnt, daß das Gebäude als Schleifmühle für Glasartikel erbaut wurde, aber sich der Betrieb als unrentabel erwies und erst von Franz Sedlak zur Mahl¬ mühle umgewandelt wurde. Bei günstigem Wetter wurde über die Som¬ mermonate allabendlich auf dem schön und staubfrei gelegenen Turnplatze geturnt und gesungen, wobei das Trinkhorn oft von Mund zu Mund ging und das fröhliche und gesellige Leben und Treiben oft bis in die späten Nachtstunden dauerte. In den Wintermonaten fanden später die Turn¬ abende im Saale des Gasthauses „Zur Vereinshalle“ statt. Der Veteranenverein strebte von der Gründung an nach dem Besitze einer Fahne als Symbol der Zusammengehörigkeit. Der Gesangverein als ältester Verein wollte den Veteranen zuvorkommen und die erste Fahne in Reichenau weihen lassen. So kam es, daß die Fahne des Gesangvereines als erste am 10. September 1865 geweiht wurde. Einige Wochen später im selben Jahre fand auch die Fahnenweihe des Veteranenvereines statt Diese Fahnenweihen gestalteten sich für Reichenau zu wahren deutschen Volksfesten, die gesamte Bevölkerung nahm mit Leib und Seele Anteil an den Feierlichkeiten. Am Vorabende des Festtages fanden Fackelzüge mit Musik durch den festlich geschmückten Ort statt. Alle Häuser waren mit Tannen= oder Eichenkränzen und Blumengewinden dekoriert und in allen Fenstern, selbst der ärmsten Leute, brannten beim Vorbeimarsche einige Kerzen. Vermögende Leute statteten ihre Fenster durch bunte Transpa¬ rente aus oder entzündeten Feuerwerkskörper. Am Tage der Fahnenweihe nahm die gesamte Bevölkerung innigen Anteil an der Feier und betrachtete das seltene Fest als das ihre. Fast alle Häuser, selbst der ärmeren Leute, prangten im Festschmucke und waren beflaggt. Dr. Möller schrieb über die Fahnenweihe des Gesangvereines: „Der Ort Reichenau sah von der Anhöhe aus betrachtet wie ein Fahnen¬ meer aus“ Der Schmied Ullmann, Nr. 53, bei dessen Hause der Festzug vorbeimar¬ chierte, hatte über den Weg einen Triumphbogen errichtet und gab auf demselben seinen nationalen Gefühlen durch folgende Inschrift Ausdruck: „Wer heut' nicht singet deutsche Weisen, den hack' ich unters alte Eisen“. 132

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