Chronik der Stadt Reichenau

„Der Sohn der Wildnis“ zur Aufführung brachten. Auf primitiver Thea¬ terbühne, anstelle der Kulissen nur spanische Wände, statt des grimmigen Wolfes ein ausgestopftes Schaffell, das an einer Schnur über die Bühne gezogen wurde, nahm das Schauspiel seinen Anfang. Unter dem Publikum befanden sich wohl viele Leute, die in ihrem Leben noch keine Theaterauf¬ ührung gesehen, noch gehört hatten und sich von dem dramatischen Inhalte des Stückes kein Bild machen konnten. Gleich nach dem im ersten Auftritte gesprochenen Worten erhob sich im Publikum ein Beifallsklatschen mit Füße¬ trampeln, das die Fortsetzung der Vorstellung unmöglich machte. Da trat der Direktor Ignaz Müller vor den Vorhang und ersuchte das Publikum mit den Beifallsspenden bis zum Ende der Vorstellung zu warten und andächtig dem Verlaufe der Handlung zu folgen und am Schlusse des Stük¬ kes desto mehr zu applaudieren. Nach diesen Worten verhielt sich das Publi¬ kum mäuschenstill und die Vorstellung konnte nun unbehindert zu Ende geführt werden, worauf dann ein gewaltiger Applaus durch Händeklatschen, Füßestampfen und Johlen ausbrach. Der Fleischer Augustin Peukert (Bindt flejscher oder Rutweste) rief begeistert aus dem Publikum auf die Bühne „Machts ocke noch amoul, mr worten noche, 's wor zu schiene Mit Stolz auf das gute Gelingen und den ersten Reinertrag von 6 Gulden spielte der Dilettanten=Verein in Zukunft fast alljährlich in der Fastenzeit und im Advent seine Schauspiele, Volksstücke und Lustspiele. Von den Reinerträgnissen spendete der Verein fast immer größere Beträge für die Schule oder an Ortsarme. In der damaligen Zeit gab es in Reichenau keine anderen Vergnügungsstätten als das Theater und die Bevölkerung hoffte schon immer von einer Spielzeit auf die andere. Nur selten kamen wandernde Schauspielertruppen in die Schenke oder auf den alten Saal. Die heutigen großen Säle, wie Michel, Stadt Prag oder Vereinshalle bestanden noch nicht. Auch war die Bevölkerungsanzahl eine geringere und waren die kleinen Lokale bei Theateraufführungen immer gedrängt voll. Gesangverein „Liederkranz“. Als zweiter Verein wurde in Reichenau im Jahre 1849 von den künst¬ lerisch emporstrebenden Malern der Gesangverein „Liederkranz“ gegründet Doch dauerte es drei Jahre, bevor die k. k. Statthalterei in Prag die Ver¬ einsstatuten bewilligte. Die Regierung witterte in der damals noch ausge regten Revolutionszeit in jeder deutschnationalen Vereinsgründung Auf¬ ruhrgedanken und so mußten die Vereinsstatuten dreimal umgeändert wer¬ den, ehe sie der hohen Obrigkeit genehm waren. Auch wurde dem Vereine verboten, vor der Sanktionierung öffentliche Aufführungen zu veranstalten Erst nach dreijährigem sehnsuchtsvollen Warten kamen im Jahre 1853 kurz nach Neujahr die Statuten bewilligt zurück und der Gesangverein konnte nun seine Sangestätigkeit in der Öffentlichkeit entfalten. Schon 14 Tage später wurden die gedruckten Einladungen zur ersten Gesangsproduktion von Haus zu Haus getragen. Am Tage der Aufführung war bei 10 Kreuzer Eintrittsgeld die kleine Gaststube bei der Katelliesen jetzige Vereinshalle) überfüllt und viele Zuschauer standen in der Winter¬ kälte vor den Fenstern, um den Gesange zu lauschen. Der Schleifmüller Franz Sedlak) ließ zur Erwärmung der draußenstehenden Zuhörer einen großen Topf heißen Kaffee herumreichen. Ein fröhliches und geselliges Leben und Treiben entwickelte sich nun in den beiden von Malern gegründeten Vereinen. Der Geist der nach höherem Wissen und Bildung strebenden Malern trug viel mit bei, aus der bisher 130

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2