Chronik der Stadt Reichenau

annektiert sie. Ein hoher Offizier, welchem der Vorfall gemeldet wurde, wollte den Kerl erschießen lassen, doch war dieser samt dem Gelde spurlos verschwunden. Am 28. Juli nachmittags kamen Quartiermacher für 600 Kürassiere mit ebensoviel Pferden. Abermals große Angst. Kaum waren die Quartiere notdürftig bestellt, rückte schon die Truppe nach. Es waren Gardekürassiere des Königs, vom Magdeburger Gardekürassierregiment Nr. 7. Jeder noch o kleine Schupfen, jede baufällige Scheuer erhielt eine Anzahl Pferde, das eigene Vieh mußte Platz machen und die Stallung verlassen. Natürlich ußte auch die Mannschaft gefüttert werden, ihre Verdauungsorgane leiste¬ ten fabelhaftes, doch waren manche ihrer Forderungen auch sehr bescheiden. Der Oberst diktierte seinem Wirte, Herrn Sluka im Gasthofe „Zur Stadt Prag“, im Speisezettel unter anderem auch frischen Salat und wollte den Wirt auf seine Außerung, daß im ganzen Orte kein Salat zu haben sei, nie¬ derstechen, um einmal ein Beispiel an einem solchen österreichischen Hunde zu konstatieren. Erst als der Bürgermeister herbeigerufen ward und bestä¬ tigte, daß wirklich kein Salat in Reichenau vorhanden sei, änderte der Oberst ein Mittagsprogramm. Dieser Tag, sowie der darauffolgende (Peter und Paul), boten überhaupt die schwersten Stunden des Krieges und werden edermann im Gedächtnisse bleiben. Die Kürassiere waren übrigens auf ihren hohen Pferden, bepanzert nach hinten und vorn, ein imposantes Volk, der Eindruck jedoch, den sie hinter¬ ließen, ein durchaus ungünstiger, sowohl auch ihre Brauchbarkeit im Kriege als bezüglich ihres Benehmens. Als Wegzehrung mußten ihnen am 29. Juni 40 Zentner Hafer, 12 Zentner Heu, 30 Zentner Stroh, 640 Stück Brote, 13 Zentner Fleisch, 50 Pfund Salz, 5 Maß Essig, 6 Eimer, 24 Maß Schnaps und 2 Pfund Pfeffer mitgegeben werden. Außer kleinen Requisitionen und Einquartierungen hatte Reichenau nun Ruhe. Die Lage des Ortes war sein Glück, denn während einerseits die über Langenbruck gekommenen Truppen durch Saskal nach Liebenau gingen, teilten sich die über Gablonz einrückenden bei Kukan, um entweder über Kopain nach Friedstein und Turnau zu gelangen, oder über Schumburg nach Eisenbrod zu gehen. Reichenau, inmitten dieser Orte gelegen, wurde weniger heimgesucht. Ungleich mehr haben Kukan, Langenbruck und Jersch¬ manitz (das heutige Hermannstal), am meisten aber das stets geplagte Lie¬ benau und Turnau gelitten. Später wurde von den Preußen die wiederinstandgesetzte Eisenbahn benützt. Dennoch verlor Reichenau 26 Kühe, 4 Pferde und 4 Wagen nebst vielem anderen. Daß viele Vorspanne geleistet werden mußten, versteht sich von selbst. Mancher Bauer war wochenlang mit seinem Gaule davon, mancher kam ohne Zug und Zeug zurück. Einen Bauer führte die Schicksalsfahrt nach Jitschin und zurück und wieder dahin. Heimgekehrt und gefragt, wo er eigentlich gewesen sei, konnte er nur antworten: „Weit, sehr weit, ich hätte nie gedacht, daß die Welt so groß ist“ Einem zweiten war es unbegreiflich, wer die vielen, vielen Preußen gemacht habe, die er auf seiner Fahrt gese¬ hen habe. Was das Benehmen der Preußen im allgemeinen betrifft, so lernten wir sie im ganzen als gute Leute können. Sie requirierten zwar alle gern und hatten es namentlich auf Eier, Butter, Milch und Kaffee, dann auf Speck und Wurst abgesehen, sodaß, da nachher sehr viele der Cholera erlagen, in vielen Fällen die absurde Lebensweise Schuld gewesen sein mag. Einer aß sogar gepreßte Hefe als Käse. (Anmerkung des Verfassers: Nach Berich¬ 125

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2