Chronik der Stadt Reichenau

denste aus dieser Requisitionsbranche war der Zahlmeister, ein wahrhaft lieber und gefühlvoller Mann, dem es wehe tat, das durchführen zu müssen, was ihm geboten wurde. In einem Verkaufslokale nächst der Kirche (jeden¬ falls bei Anton Peukert Nr. 81) wurde eine Unmasse Branntwein konsu¬ miert, welcher die Begeisterung derart steigerte, daß man statt zu requirieren zu plündern begann und hierin großes leistete. Ins Niederdorf kam auf Geheiß seines Vorgesetzten einer vom Regi¬ mente Nr. 27 und verlangte von einer armen Häuslerin Brot. Diese über¬ reichte ihm mit Tränen in den Augen ihr letztes, bereits angeschnittenes Brot und bemerkte, daß sie nun abends selbst nichts zu essen haben werden. Der Brave von Nr. 27 greift in die Tasche, gibt dem Weibe einige Münzen und spricht: „Bringen muß ich etwas, doch wehetun will ich nicht!" Einige Mädchen standen beisammen und schauten dem Treiben der Soldaten zu. Vorübergehende Preußen sagten im Scherz zu ihnen: „Jetzt werden wir Fuch assentieren“. Die Mädchen, gejagt von Angst, rennen fort und fort und rufen überall: „Assentieren!" Das setzte der Verwirrung des Tages die Krone auf. Angst vor den Preußen, Angst vor dem Kriege und Angst vor der Assentierung, das war der Angst zu viel. Junge Leute erraffen so chnell wie möglich den Rock und rennen fort. Ein Wagner (Johann Massopust Nr. 21), der 8 Tage zuvor den Land¬ turm anführen wollte, rennt auch voll Angst davon und kommt erst nach drei Tagen wieder. Auch ein Schmied (Ullmann Nr. 54) wollte fort, sein wohlgenährter Leib versagte ihm jedoch den Dienst. Ergeben in sein Schicksal kehrte er heim und tat recht daran, denn drei andere, die auch panischer Schrecken ergriffen hatte, rannten über Turnau hinaus, wurden dort für Spione gehalten und festgenommen. In einer Nacht lagerte im Wäldchen bei der Eisenbahn eine Kompagnie und entsendete von da Patrouillen in die Nachbarschaft. Am Wege nach Pel¬ kowitz bei einem ringsum mit Linden bewachsenen Kreuze kniet ein Mann und betet; ihn sieht eine von den Patrouillen und ruft ihn an, der Betende erhebt sich ohne zu antworten und will sich entfernen. Warum er nicht geant¬ wortet hat, ob er im Gebet versunken den Anruf nicht gehört oder ob er schwerhörig gewesen, wer weiß es. Die Patrouille schießt und in die Stirn getroffen sinkt lautlos hin ein — Preuße. Er war Vater von 4 Kindern und der, der ihn erschossen hatte, sein Nachbar und Freund. Am 26. Juni die ersten Kanonendonnerschüsse hinter Jilowei, Kampf bei Podol. Am 27. Juni abermals Kanonendonner. Das Volk beginnt an zu murren. So weit das Auge reicht, nichts als Gebirge zu natürlichen Festungen und der Feind kommt unangefochten bis tief ins Land herein Die Kontributionen an kleine Truppenkommanden dauern indes täglich ort. Des Abends Einquartierung von beiläufig 100 Pionieren mit Inbegriff von Zivilarbeitern, deren Aufgabe es war, die zerstörten Eisenbahnschienen herzustellen, den Reichenauer Viadukt in Ordnung zu bringen und den gesprengten roten Felsen bei Liebenau von den Geleisen fortzuschaffen. Bei dieser Einquartierung waren 3 Stabsoffiziere, mehrere Eisenbahnbeamte, 2 Schlachtenmaler und1 Zeitungsredakteur, lauter Leute, deren äußerst zartes und bescheidenes Benehmen einen auffallenden Kontrast zu dem Vor¬ gange der meisten Truppen bildete. Dagegen war unter den Pionieren ein räudiges Schaf. Am 28. Juni kehrten nämlich scharenweise die Preußen im Gasthause „Zur Stadt Prag“, gegenüber der Kirche ein und forderten un¬ gestüm Eier. Die Schwester des Wirtes bediente sie. Einer vom Pionier¬ korps suchte überall herum, findet in einer Suppenschüssel 20 Gulden und 124

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