Chronik der Stadt Reichenau

steinschen Herrschaften infolge milderer Behandlung nicht gegen ihre Grund¬ herren revoltierten, so kamen nach den geschichtlichen überlieferungen doch öfters Flüchtlinge aus den Nachbarländern in unsere Gegend, sowie auch versprengte Kriegsknechte, brachten Krankheiten mit und drangsalierten die Bevölkerung. Zum großen Teil trugen die vom böhmischen Landtage in den Jahren 472, 1474 und 1479 herausgegebenen Bestimmungen Schuld an den Aufstän¬ den, nach welchen den Leibeigenen die Freizügigkeit, von einem Herrschafts¬ gebiete in ein anderes verboten wurde. Im Jahre 1477 gab der böhmische Landtag ein Gesetz heraus, welches auch den verwitweten Bäuerinnen das Wiederverheiraten auf fremdes Herrschaftsgebiet untersagte. Ohne Los¬ oder Weglaßzettel durfte kein Untertan seine Heimat verlassen. Ein solcher Weglaßzettel kostete am herrschaftlichen Rentamte den hohen Betrag von einem Reichstaler (ein Schilling, ein Groschen und fünf Pfennige). Im 16. Jahrhunderte bürgerte sich unter den Grundherren der Brauch ein, nach einem verstorbenen Bauer dessen bestes Pferd, Ochs oder Kuh als Abschlag aus dem Stalle zu nehmen. Noch im 18. Jahrhunderte hatten die Söhne und Töchter der Bauern bis zu ihrer Großjährigkeit unentgeltlich Dienste zu eisten und ihr junges Leben auf den Schlössern und Gutshöfen der Grund¬ herren zu verbringen. Wollte ein Bauer ein Stück Mastvieh verkaufen, hatte er dies vor dem Verkaufe dem Grundherrn zu melden und mußte von dem Kaufertrage seinen Zehent an das Rentamt abliefern. Viele Grundherren maßten sich das Recht an, daß die jungverheirateten Bräute die Brautnacht auf den Schlössern bei dem Grundherrn verbringen mußten Die Herrschaft Friedland gab am 28. September 1629 einen Befehl heraus, nach welchem kein untertäniger Bauer einen Strich Getreide ver¬ kaufen durfte, welches er nicht zuvor am Markte in Friedland feilgeboten hatte. Auf den Waldsteinschen Herrschaften, zu welchen auch Reichenau gehörte, war ein solches Verbot schon früher erlassen worden und hatten die Bauern das Verkaufen von Getreide in ein anderes Herrschaftsgebiet mit Leibes¬ strafe zu büßen Es durfte auch kein Bauer selbstgebackenes Brot oder von einem selbst¬ geschlachteten Stück Vieh Fleisch verkaufen. Die Häute von geschlachtetem Vieh mußten an den herrschaftlichen Gerber abgeliefert werden. Die gespon¬ nenen Garne mußten in vorgeschriebener Länge geweift sein und die Strähne die bestimmte Zahl Fäden enthalten. Zuwiderhandelnde wurden vom Richter in den Bock gespannt oder zum abschreckenden Beispiele an den Pranger gestellt. Das an den „Pranger stellen“ geschah meistens Sonntags während des Gottesdienstes, damit recht viele Leute den Delinquenten zu Gesicht bekamen. Durch die drakonische Strenge und gewissenlose Ausbeutung von Seite der Grundobrigkeit gegenüber den leibeigenen Untertanen wurde der Haß und die Vergeltungssucht gegen die Unterdrücker zu einer Rache gesteigert, die in den Bauernaufständen zu der unerbittlichsten Grausamkeit führte. Die Bauernkriege waren noch nicht zu Ende, als schon wieder ein neuer Ansturm unsere Heimat sowie Deutschland und Österreich bedrohte. Es war dies der wegen Glaubensstreitigkeiten zwischen Deutschland und Österreich im Jahre 1618 entbrannte 30jährige Krieg, welcher für Reichenau schlimmere und nachhaltigere Folgen zeitigte als die Hussitenkriege. Durch den Feldherrn Wallenstein wurde eine starke Rekrutierung vor¬ genommen, Burschen, verheiratete Männer sowie auch Frauen und Mädchen 116

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