Chronik der Stadt Reichenau

ihrer Allheilmittel durch die Gegenden, um der Bevölkerung für teueres Geld ihre wertlosen Wundermittel zu verkaufen. Die schrecklichste von den Seuchen mag wohl die schwarze Sucht oder Pest in Böhmen und auch in unserer engeren Heimat gewesen sein, welche mehr¬ mals durch einige Jahre ununterbrochen viele Opfer aus der Bevölkerung dahinraffte. Nach den Aufzeichnungen in der „Böhmischen Landeschronik brach die Pest als schwarze Wolke im Jahre 1506 über das Land Böhmen herein und wütete durch die Jahre 1507, 1508, 1512, 1543, 1544, 1554, 1555, 1562, 1568, 1571 und 1582, Nach kurzer Unterbrechung trat sie wieder in den Jahren 1597 bis 1600 auf und erlagen auch in Nordböhmen tausende Menschen der Seuche. Eine neue Pestwelle flutete im Jahre 1633 durch das Land. Die schrecklichste und grauenhafteste Pestzeit kam jedoch im Jahre 1680 und dauerte bis zum An¬ fang des 18. Jahrhunderts. Das Land Böhmen wurde nahezu ganz ent¬ völkert und von den früheren 3 Millionen Einwohnern sollen nach der Auf¬ zeichnung des Augustin Weis nur noch 50.000 übriggeblieben sein Auch unser vom Hauptverkehre abgeschlossener Heimatsort Reichenau wurde in dieser Zeit schwer von der Pest heimgesucht und wurde die Seuche meistens durch Kriegsknechte und Flüchtlinge in unser abgelegenes Tal ein¬ geschleppt. Schwarzecker berichtet, daß im 30jährigen Kriege die Pest in Reichenau chrecklich gehaust habe und die an der Seuche Gestorbenen mit Haken au Bretter gezerrt und dann in den Wald auf dem Fiebig geschleift wurden, wo sie der Freßlust der Füchse und Wölfe anheim fielen In Häusern, wo alle Glieder der Familie der Pest erlegen waren, wur¬ den die Häuser mit den Leichen verbrannt. Die Fichtelschänke (heutige Grenz¬ schenke) wurde mit acht, das Haus des Georg Preißler mit drei und das Haus der Wittibin Therese Schöffel mit vier Pestleichen verbrannt. Nicht nur unter den Menschen, auch unter den Haustieren wütete die Pest. Bis um das Jahr 1720 fielen der Pest gegen zwei Millionen Stück Hornvieh zum Opfer. Nach dem Erlöschen der Seuche zu Ende des ersten Vierteljahrhun¬ derts wurden allerorts Dankgottesdienste zelebriert und in vielen Städten und Dörfern Pestsäulen und Heiligenstatuen als Denkmale an die schreckliche und grauenhafte Zeit errichtet, wie auch Reichenau ein solches Denkmal in der hl. Prokop= oder Pestsäule aufzuweisen hat. Auch eigene Pestfriedhöfe wurden in vielen Orten zur Bestattung der Pestleichen weit außerhalb der Siedlungen angelegt und sind noch heute erhalten. Wie schon erwähnt, hatte Reichenau keinen Pestfriedhof, sondern die Leichen wurden ohne Sarg auf den Fiebig geschafft und dort notdürftig verscharrt. Nur wenige Jahrzehnte waren seit dem gänzlichen Erlöschen der Pest in Böhmen verflossen, als schon wieder ein neuer Feind der Menschheit über die Landesgrenze hereinbrach. Es war die Cholera oder asiatische Brechruhr, welche im Jahre 1831 wieder viele Todesopfer forderte. Die Grenze gegen Preußen, von wo die Cholera zu uns eingeschleppt wurde, erhielt militärische Wachabteilungen, welche den Grenzübertritt vollständig absperrten. In allen Orten mußte auf höheren Befehl ein Choleraspital errichtet werden In Reichenau befand sich dieses Spital im Hause Nr. 25. Die Fleischhauer mußten für die im Spital untergebrachten Cholerakranken oder =verdächtigen Suppe kochen, welche aber nur vor die Haustür gestellt werden durfte, weil das Betreten des Hauses verboten war. Eine an der Tür angebrachte Glocke mußte gezogen werden, wenn die Suppe zum Abholen bereitgestellt war. In 112

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