Chronik der Stadt Reichenau

In der Urzeit waren die Bewohner hauptsächlich auf den vom Herdfeuer, welches in einer offenen Esse brannte, ausstrahlenden matten Feuerschein angewiesen, um ihre häuslichen und anderen Arbeiten in den Abend= und Nachtstunden zu verrichten. Doch die Not macht erfinderisch und so schnitten die Leute später Späne aus Kiefern= oder Buchenholz, entzündeten sie und steckten dieselben zur besseren Beleuchtung des Raumes in einen Spalt in der Wand. Zum Anbringen mehrerer solcher Späne zum Beleuchten größerer Räume wurden eiserne Vorrichtungen geschmiedet, in welche die Späne ächerartig eingesteckt wurden. Diese Leuchter führten den hübschen Namen „Gahnaffe“ und werden noch heute in vielen alten Häusern als Raritäten aufbewahrt. Auch in Ställen mußten in Ermangelung anderer Beleuchtung im Win¬ ter nur die Späne als Lichtquelle dienen. Auch wurde der funkensprühende Span in eine Hand oder in den Mund genommen und in den Armen Heu oder Stroh vom Dachboden geholt. Trotz der feuergefährlichen Beleuchtung entstand in den damals nur sehr niedrigen Holzhäusern seltener ein Brand als in den heutigen massiven Steinhäusern. Der Grund mag wohl darin zu suchen sein, daß es in jener Zeit noch keine Feuerversicherungsanstalten gab und der Abbrändler den Schaden selbst zu tragen hatte. In der Daubaer Gegend fand der Verfasser noch vor wenig Jahren bei ärmeren Leuten die Spanbeleuchtung in Anwendung. Neben den Lichtspänen kam später die Beleuchtung durch Kerzen zur Geltung, doch konnten sich nur reiche Leute das bessere und hellere Licht der Kerzen erlauben. Anfänglich wurden die Kerzen aus Rindstalg oder Un¬ schlitt gegossen und als Docht Garnsäden verwendet. Erst nach der Einfuhr der Baumwolle wurde diese als besserbrennender Docht zur Kerzengießerei bevorzugt. Für Kirchen und Herrschaften wurden die Kerzen erst im 12. Jahrhun¬ dert aus Bienenwachs gegossen. Seit neuer Zeit kommt für die Kerzen¬ gießerei hauptsächlich das aus Afrika eingeführte Stearin zur Verwendung In großen Räumen, Kirchen und Sälen hing in der Mitte an der Decke ein Kronleuchter (Luster) in Pyramidenform, an welchem mehrere Reihen Kerzen übereinander angebracht waren In den Städten wurden als Fest= und Straßenbeleuchtung auf freien Plätzen Pechpfannen aufgestellt, welche mit Harz gefüllt, beim Brennen einen roten Feuerschein und dichten Qualm verbreiteten. In späterer Zeit kam als neue Errungenschaft bei uns die Olbeleuchtung zur Einführung, welche weniger gefährlich war, jedoch nur ein trübes Licht mit viel Rauch entwickelte. Für die arme Bevölkerung war das Öl zu teuer und sie mußten sich noch Jahrhunderte mit der Spanbeleuchtung begnügen. Erst bei der Erzeugung des Rüböls trat eine Verbilligung ein und wohl in jedem Stübchen brannte dann ein stark rauchendes Ollämpchen, welches ein trübes Licht verbreitete. Bei genaueren Arbeiten wurde eine mit Wasser gefüllte fanstgroße Glaskugel zwischen der Lampe und der Arbeitsstelle auf¬ gehangen, welche durch die Strahlenbrechung einen hellen Schein auf die zu verrichtende Arbeit warf. In Reichenau fand man diese Glaskugeln bis zur Einführung des elektrischen Lichtes noch im Gebrauche, hauptsächlich ältere Schuhmacher und Schneider bedienten sich ihrer Als altes Andenken an die frühere Kerzenbeleuchtung werden in man¬ chen alten Häusern noch die Lichtputzscheren aufbewahrt. Mit diesen Scheren wurden die zu lang aus der Lichtflamme vorstehenden Dochtenden abgeschnit¬ 110

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