Chronik der Stadt Reichenau

Fahrzeugen erstand vor der Jahrhundertwende als vielbestauntes Wunder in den Zweirädern oder Velocipeden, welche anfänglich eineinhalb Meter hohe Vorderräder und sehr kleine Hinterräder hatten und dem Fahrer eine beträchtliche Geschwindigkeit ermöglichten. Die Brüder Waller in Reichenau Nr. 255 hatten bereits in den 60er Jah¬ ren des vorigen Jahrhunderts ein Fahrzeug mit Tretkurbeln gebaut, mit welchem sie ziemlich weite Fahrten machten Aus den hohen Zweirädern entwickelten sich in kurzer Zeit die heutigen Zweiräder, anfänglich mit Vollgummi, später mit Luftreifen. Die moderne Technik strebte weiter und schuf mit Benzinkraft angetriebene Motorräder und Automobile, mit welchen eine Stundengeschwindigkeit von über 100 Ki¬ lometern erreicht wird. Wenn man die heutige Schnelligkeit der elektrischen Straßenbahnen und Motorfahrzeuge in Betracht zieht, kommt es dem Menschen verwunderlich vor, mit welcher Gemächlichkeit unsere Vorväter ihre Wege wandelten. Franz Preißler hinterließ ein handgeschriebenes Buch, in welchem er angibt, im Jahre 1810 die Schritte von der Reichenauer Kirche bis zum Reichenberger Rathause gezählt zu haben, es waren 15.775 Schritte. Am 28. Feber 1811 zählte Franz Preißler 11.630 Schritte bis Eisenbrod Zu Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde in Rei¬ chenau wieder eine neue Maute errichtet und befand sich diese im Eck der Bahnhofstraßen=Einmündung in die Hochstraße. Ein Mauthaus wurde nicht erbaut, da der Kaufmann Franz Prade Nr. 468 die Maute gepachtet hatte und die Gebühren von seinem Geschäfte aus einhob. Diese Maute bestand nur wenige Jahre und wurde zur Freude der Fuhrleute wieder aufgehoben. Noch ein heiteres Ereignis aus der guten alten Zeit der Mauten soll unserer Bürgerschaft erhalten bleiben. Im Sommer des Jahres 1868 kam von Böhm.=Aicha ein Wanderzirkus durch Reichenau nach Gablonz gefahren. Nebst den Pferden befanden sich auch ein Elefant und ein Kamel beim Zir¬ kus. Beim Bezahlen der Maute kam es dem Mautner nicht in den Sinn, ob er den Elefanten und das Kamel als Pferde oder Rinder verrechnen solle, da in seiner Vorschrift nur die Taxen für Rinder und Pferde angegeben waren. Kurz entschlossen ließ er den Schlagbaum herab, rannte zum Kantor Czum¬ perlik um Rat. Doch dieser konnte auch nicht feststellen, ob die fremden Tiere unter die Pferde oder Rinder zu rechnen seien und meinte scherzhaft zum Mautner, er möge die beiden Tiere als Pferd und Rind zusammenfassen und die Gebühr dafür kassieren. Hochbeglückt über den weisen Rat eilte der brave Mautner zurück, ließ sich die Gebühr für Elefant und Kamel als Pferd und Rind zusammen bezahlen und das machte für jedes fremde Tier 3 kr. aus. Hierauf erst öffnete der Mautner den Schlagbaum und nach ein¬ stündigem Aufenthalte konnte der Zirkus seine Fahrt nach Gablonz fort¬ setzen. Es ist heute noch nicht vorauszusehen, wie sich der Verkehr und seine Hilfsmittel in Zukunft gestalten werden, doch wollen wir mit Zuversicht auf seine weitere günstige Entwicklung im neuen Jahrhundert hoffen. Das trübe Licht von einst und die Beleuchtung von heute. Es würde unseren Vorfahren als Wunder erscheinen, wenn sie heute lebten und statt des früher so mühseligen Feuer= und Lichtanzündens mit Stahl, Schwamm und Feuerstein nur an einem Schalter zu drehen brauch¬ ten, um in der Dunkelheit plötzlich in einem elektrischen Lichtmeere zu stehen. 109

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