Chronik der Stadt Reichenau

an die Häuser, da sie in dem Wegschlamme genügend Material zumBau ihrer Nester fanden. An den Mauern der Häuser, selbst in Hausfluren oder Ställen bauten die fleißigen Insektenvertilger ihre Nester und reinigten die Obstbäume und Gärten von dem schädlichen Ungeziefer. Seit den gepflaster¬ ten Straßen und Wegen finden sie nicht mehr das nötige Baumaterial zu ihren Nestern im weichen Straßenkote und die munteren und nützlichen Schwalben verlieren sich von Jahr zu Jahr mehr über die ständige Dreckplage auf Fahr= und Fußwegen in Reichenau wurde im Jahre 1884 in einer Gemeindesitzung verhandelt. Die Vertreter der Gemeinde trachteten immer, die Wege um ihre Häuser auf Gemeinde¬ kosten ausgebessert zu erhalten. Es war bereits sprichwörtlich geworden, daß, wenn in dem allgemeinen Kotmeere um ein Haus der Weg in einem besseren Zustande war, die Leute sagten: „Ei dan Hause wohnt gewies an Gemeinde¬ ausschus“ Am schlechtesten sah es seinerzeit wohl mit der böhmischen Gasse (heutige Körnerstraße) aus, in welcher die Wagenräder versanken und die Fuhrwerke öfters mit Vorspann aus dem Kote herausgezogen werden mu߬ ten. Für Fußgänger war das Gehen in der Gasse unmöglich, sie mußten auf den angrenzenden Wiesen gehen. In der oben erwähnten Sitzung beschwerte sich der Gemeinderat und Besitzer des Gasthauses „Zur Schweiz“ Augustin Preißler (Honspouls Gustl), welcher selbst Fuhrwerk besaß und zu seinem Hause keinen anderen Zufahrtsweg als die böhmische Gasse hatte, über die schlechte Beschaffenheit des Weges und schloß seinen Antrag mit den Worten: „Ei dan Drak muß sich die Gemeinde nei lehn, dou gehieren a por Bäuchel nei, daß dar Drak uffhiert“ Der stets schlagfertige Gemeinderat Jose Preißler Nr. 65 (Tanzpreißler) erwiderte dem mit einem großen Schmer¬ bauche gesegneten Schweizerwirte: „Don leh du dich mit deiner Butte nei, die föllt a grisser Louch aus, mir andern sein zu dörr“. Diese scherzhafte Be¬ merkung Tanzpreißlers bildete längere Zeit das Gespräch in Reichenau und ist bis heute noch nicht vergessen. Die Ursache dieses Wegkotes in Reichenau ist wohl durch die Lage und Bodenbeschaffenheit bedingt. Das von den Anhöhen niederströmende Regen¬ wasser und Schneewasser führt Schlamm in den tief gelegenen Ort und infolge Fehlens steinigen Untergrundes bleibt der Schlamm auf Weg und Steg liegen. Diesem übelstande kann nur durch zweckmäßige Pflasterung der Wege und Ableitung des Schnee= und Regenwassers abgeholfen werden. Die Gemeinden Reichenau, Puletschnei und Kukan hatten mit dem Nach¬ barorte Radl die denkbar ungünstigste Wegverbindung. Mit geladenem Wagen war es nur mit Vorspann möglich, den Radler Berg, als einzigen Verbindungsweg, hinaufzufahren, um nach Radl zu gelangen. Oder mußten die Fuhrleute aus den obengenannten Orten den weiten Umweg über Her¬ mannstal oder Gablonz auf den Bezirksstraßen machen, um das nahe¬ liegende Radl zu erreichen. Eine Verbesserung dieses umständlichen Verkehres trat im Jahre 1900 mit dem Bau der von der Liebenau—Gablonzer Bezirksstraße auf Rießlers¬ Hübel abzweigenden, über Gutbrunn führenden und in die Gablonz—Radler Straße mündenden Straße ein. Durch diese Verbindung wurde auch der Verkehr zwischen Reichenau und Gablonz verbessert und abgekürzt, sowie der großen Steigung über Kukan und Seidenschwanz ausgewichen. Wie die Wegverhältnisse der früheren Zeiten haben sich wohl auch die Verkehrsmittel zu ihrem Vorteile gebessert. Die Holzachsen der alten Fracht¬ wagen, Postkutschen und Kaleschen wurden um die Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts durch Eisenachsen ersetzt, wodurch bei den Fahrzeugen eine größere Tragfähigkeit und Verkehrssicherheit erreicht wurde. Eine neue Art von 108

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2