Chronik der Stadt Reichenau

Der Fuhrwerksverkehr nach weiten Ländern und Städten hörte mit dem Bau der Eisenbahnen auf und auch der letzte Reichenauer Großfuhrunter¬ nehmer Vinzenz Roeßler Nr. 17 mußte einige Paare Pferde verkaufen und fristete sein Leben fernerhin noch mit Sand=, Ziegel= und Steinfuhren, wie auch viele große Einkehrwirtshäuser und Herbergen an den Landstraßen wegen Mangel an Fuhrwerksverkehr verödeten. Durch den Geschäfts= und Arbeitsaufschwung im Bezirke, wie auch in Reichenau, machte sich der Mangel einer ständigen Postverbindung fühlbar. Der bisherige Postverkehr bestand darin, daß vor der Erbauung der Eisen¬ bahn eine Postkutsche von Prag nach Reichenberg fuhr und Passagiere und Briefe beförderte. Die Reichenauer Bewohner, welche eine Reise unterneh¬ men wollten oder einen Brief zu befördern hatten, mußten den weiten Weg nach Liebenau zurücklegen, um den Anschluß an die Fahrpost zu erreichen. Nach Eröffnung der Eisenbahn kam von Liebenau wöchentlich ein Postbote nach Reichenau und brachte Briefe und Pakete mit und nahm auch Brief chaften zur Weiterbeförderung mit der Bahnpost nach Liebenau mit. Dieser Zustand war für die Reichenauer Geschäftsleute auf die Dauer unhaltbar und erreichte es die Gemeinde unter dem Vorsteher Josef Preißler Nr. 269 (Mahnels Jusef) durch mehrfaches Ansuchen an die k. k. Postdirektion, daß Reichenau ein eigenes Postamt, jedoch ohne Telegraphenbeförderung erhielt. Am 20. September 1869 wurde das k. k. Postamt in Reichenau im Hause Nr. 20 eröffnet. Erster Postmeister war der gelernte Kaufmann Anton F. Lang (Tombäckens Anton), der das Haus von dem nach Brasilien aus¬ gewanderten Houfejusel gekauft hatte. Die Postmanipulation erlernte er am Postamte in Liebenau. Doch schon kurze Zeit nach seinem Amtsan¬ tritte liefen bei der k. k. Postdirektion in Prag Beschwerden wegen unlau¬ terer Geschäftsgebarung seitens des Postmeisters ein über spolierte und ihres Inhaltes beraubte Geldbriefe, sowie sonstige Verfehlungen. Anton F. Lang hatte auch die Geschäftsbriefe der Reichenauer Bilderhändler geöffnet, ich daraus Adressen und Preise der auswärtigen Firmen angeeignet und betrieb nebst der Post und einem Kaufladen noch ein einträgliches Bilder¬ geschäft. Die Reichenauer Bilderhändler sahen sich genötigt, ihre Geschäftsbriefe nicht mehr in Reichenau, sondern auf das Postamt in Liebenau kommen zu lassen und täglich von dort durch einen Boten abzuholen. Auch ihre eigene Geschäftskorrespondenz und Bildersendung nahm der Bote mit nach Liebenau um sie dort aufzugeben. Auf Grund der verschiedenen Anzeigen von mehreren Seiten wurde A F. Lang das Postamt entzogen und der Wirtschaftsbesitzer Vinzenz Peu¬ kert Nr. 48 mit demselben im Jahre 1877 betraut. Vinzenz Peukert hatte ebenfalls am Liebenauer Postamte praktiziert und das Telegraphieren er¬ lernt, da infolge der fortschreitenden Zeit das Postamt mit einem Tele¬ graphenamt verbunden wurde. Reichenau hob sich durch den guten Geschäftsgang aller Industriezweige und die Bewohner entwickelten sich zu geschäftstüchtigen Leuten. Es fehlte dem Orte nur eine bessere Verbindung mit der Außenwelt zum Abtrans¬ porte der erzeugten Waren und zur Einfuhr der benötigten Lebens= und Gebrauchsmittel Die Notwendigkeit eines Bahnhofes im Zentrum des Industriegebietes machte sich dringend geltend und nach jahrelangen Bemühungen der Ge¬ meinde und des Bezirkes gelang es, für Reichenau an bequemer Stelle den Bau eines Personen= und Frachtenbahnhofes zu erreichen. Mit dem Bau 105

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