Chronik der Stadt Reichenau

Bei der Rodung des Waldes zum Feldbau legten die Bauern gewöhnlich zwischen zwei Streifen Ackerland einen Feldweg (Trejbe) an und wurden diese nach dem Besitzer der Feldstreifen (Teschernazetrejbe, Rießlerschtrejbe usw.) benannt. Es mag für die damaligen Fuhrleute keine leichte Aufgabe gewesen sein, mit ihren schweren, meist vierspännigen Wagen die weiten Fahrten nach Polen, Ungarn, Triest und Hamburg auf so schlechten Wegen zu unterneh¬ men, von welchen sie oft erst nach vielen Monaten heimkehrten. Der alte Hausbesitzer Johannes Hübner Nr. 27 (Kaspers Hans), welcher gern und oft über die gute, alte Zeit berichtete, erzählte von den Fuhrleuten und ihren Fahrten. Der Fuhrwerksbesitzer Rößler in Nr. 17 habe aus Un¬ garn ein paar junge Pferde mitgebracht, für die er vom Grafen von Wald¬ stein 6 Paar schwere Wagenpferde erhielt. Von einer anderen weiten Fahrt habe er der Gräfin einen großen, in allen Farben schillernden Vogel als Geschenk mitgebracht, der auch reden konnte (wahrscheinlich ein Papagei) Das Volk sei aus der weiten Umgebung in das Schloß geströmt, um den verhexten Vogel sprechen zu hören und sehen zu können Der in Kaschen ansässige Bauer und Fuhrmann Preißler (Hanspoul habe mit einem Fuhrwerke Glaswaren und Reichenberger Tuch nach Polen geschickt, ohne das Gespann mit den 2 Begleitern jemals wiederzusehen. Entweder seien sie Räubern in die Hände gefallen oder die Begleiter mit dem erhaltenen Gelde durchgegangen. Die alten Fuhrleute waren zugleich tüchtige Kaufleute, die von ihren weiten Fahrten allerlei ausländische Waren wie Seide, Kaffee, Salz und Gewürze mitbrachten, die sie in den Städten der Umgebung gut bezahlt erhielten. Hanspoul in Kaschen soll mit seinem Fuhrwerke einen regen Schmuggelhandel betrieben haben, indem er sich die Waren von Paschern über die Zollgrenze bringen ließ, während er selbst mit leerem Wagen durch die von Grenzjägern besetzten Grenzen fuhr und die gepaschte Ware erst über der Grenze von den Schmugglern in Empfang nahm und auflud. Durch diese Geschäfte soll Hanspoul ein reicher Mann geworden sein. Auf den tiefausgefahrenen Geleisen der alten Landwege war ein Aus¬ weichen zweier sich begegnenden Fuhrwerke nicht möglich und mußte vor der Einfahrt in einen unübersichtlichen Hohlweg der Fuhrknecht zuerst seinem Wagen vorausgehen und zum Zeichen, daß der Fuhrweg besetzt sei, seinen Hut oder ein Fähnchen auf der anderen Einfahrtsseite stecken und ein ent¬ gegenkommendes Fuhrwerk mußte warten, bis der Hohlweg wieder für die Durchfahrt frei wurde Als im 17. und 18. Jahrhunderte zwischen den Städten breite und ge¬ pflasterte Landstraßen angelegt wurden, erstanden an denselben große Ein¬ kehrwirtshäuser mit großen Wagenunterfuhren und Stallungen für viele Paar Pferde zur übernachtung der Fuhrleute und ihrer Gespanne. Schmiede, Wagner und Sattler siedelten sich bei den Herbergen an und fanden reichlich Beschäftigung an den belebten Landstraßen. Handel und Wandel blühten auf, neue Ortschaften wuchsen an den Straßen. Auch in Reichenau hatten die großen Fuhrwerksbesitzer genügend zu tun, die Erzeugnisse der Gegend, wie Reichenberger Tuch und Garne nebst Leinwand, Gablonzer Glaswaren und Gürtlererzeugnisse, Reichenauer Dosen und weißen Lehm in die weitere Umgebung zu verfrachten und Lebensmittel für die seit altersher industrie¬ reiche Gegend einzuführen. Dieser großzügige Fuhrwerksverkehr auf weite Strecken fand um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Erbauung der Eisenbahnen ein allmähliches Ende. Die Eisenbahn beförderte schneller und billiger als die Fuhrleute auf den Landstraßen viele und große Frachten. 100

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