Chronik der Stadt Reichenau

auf der Straße ein Automobil mit 100 Kilometer Geschwindigkeit entgegen¬ gerast käme und sie das Surren eines Zeppelins oder Flugzeuges am Him¬ mnel sähen und hörten. Als Teufelswerk würden sie Eisenbahn, Telegraphie, Fernsprecher, Grammophon und Radio bezeichnen So wollen wir, zufrieden mit den Errungenschaften in Industrie und Lebensweise seit der Gründung unseres Heimatsortes Reichenau dieses Ka¬ pitel am Schlusse des Jahres 1900 beschließen, in der frohen Erwartung, im nächsten Bande der „Geschichte von Reichenau“ eine glückliche Weiterentwick¬ lung der Industrie und Lebenshaltung zum Wohle unserer deutschen Hei¬ mat und Bevölkerung niederschreiben zu können. Das walte Gott! Verkehr in alter und neuer Zeit. Wenn wir uns heute den dichten und undurchdringlichen Wald früherer Zeit und die unser Reichenau von allen Seiten umgebenden Höhenzüge und Gebirgskämme vor Augen führen, können wir beurteilen, wie beschwerlich den ersten Ansiedlern des Ortes das Vordringen in das Tal gewesen sein mag. Die aus Schlesien eingewanderten deutschen Ansiedler mußten sich wohl erst einen Weg durch den Urwald bahnen. Es läßt sich wohl heute nicht mehr eststellen, aus welcher Richtung dieser Weg nach Reichenau führte, doch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Einwanderer eine bequeme Verbindung mit ihrer ursprünglichen Heimat zuerst anlegten. Alle Anzeichen deuten dar¬ auf hin, daß als erster Verkehrsweg der von der Kirche über den Schutzenge nach Gutbrunn, Gablonz, das Gebirge nach Schlesien führende alte Landweg in Betracht kommen kann. Der breite Grundstreifen, auf welchem sich der Weg hinzog, führte mit den angrenzenden Grundstücken den Namen „Fie¬ big“. Wenn ein Fahrgeleise auf dem weichen, ungeschotterten Boden zu tief ausgefahren war, wurde nebenan ein neues angelegt und sind noch heute auf dem Grunde 3—4 solche ausgefahrene Fahrgeleise sichtbar, welche sich im Laufe der Zeit von selbst ausfüllten oder wegen des Graswuchses von den Pächtern des Grundes geebnet wurden. Unter dem Böhmenherzoge Premysl Ottokar II., welcher zur Bevölkerung des Landes die Deutschen bevorzugte, wurde viel Volk aus dem Deutschen Reiche in Böhmen angesiedelt und zu ihrem Wohle und Sicherheit Verkehrsstraßen angelegt. Der von Prag über Jungbunzlau, Turnau, Friedstein, Kaschen durch Reichenau führende alte Landweg dürfte wohl in dieser Zeit angelegt worden sein. Dieser Landweg hatte die beträchtliche Breite von 12 Klaftern und führte vom Kaschen in der heutigen Körnerstraße herab (Gasse), überquerte bei der Vereinshalle den Mohelkabach, jedoch ohne Brücke (da dieselbe erst im Jahre 1680 erbaut wurde), ging vor der alten Schenke den steilen Berg hinan am Richterhause Nr. 34 (bei Honsodln) vorüber, die Anhöhe hinauf (Honsodls Trejbe), be¬ chrieb dort einen auf der Ebene sich hinziehenden Bogen über Rießlershübel und führte dann über Gutbrunn, wo er sich mit dem Schutzengelwege ver¬ einte, durch den Großwald und den Badehausberg herab nach Gablonz und über das Gebirge nach Schlesien. In Honspouls Busche liegt noch heute neben dem Fahrwege ein tie ausgefahrenes Wagengeleise. Infolge der großen Steigung bis Kaschen und von der Mohelka bis auf den Honsodlberg mußte der Richter Preißler über Auftrag des Grafen von Waldstein stets ein paar Vorspannpferde bereit¬ stehen haben. 98

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2