Chronik der Stadt Reichenau

Der Vorfall wurde sofort gerichtlich ausgenommen und nach Swijan berichtet, von wo ein Justiziär nach Reichenau geschickt wurde, welcher ein Protokoll über den Tatbestand aufnahm, zu welchem die überfallenen ihre Aussagen unter Eid machen mußten. Leider meldet die Geschichte nichts über den Ausgang des Prozesses und die Bestrafung der Beteiligten In Prag fand im Jahre 1831 eine Ausstellung statt und stellte auch der Reichenauer Dosenfabrikant Ignaz Schöffel dort eine große Menge seiner Erzeugnisse aus. Die Prüfungskommission sprach ihr volles Lob über die ausgestellten Dosen aus und verlieh ihm die bronzene Medaille In London fand im Jahre 1851 die erste Weltindustrie=Ausstellung statt, an welcher sich die Firma Karl Hofrichter mit Schnupftabaks=, Zuckerdosen und mit kostbar gemalten sowie mit Perlmutter ausgelegten Schatullen beteiligte und die große bronzene Medaille erhielt Am 17. Juli 1873 wurde die Dosenfabrik Franz Hofrichter ein Raub der Flammen, wurde aber wieder aufgebaut. Da die Dosen sehr dauerhaft waren und der Verbrauch von Jahr zu Jahr infolge der im Abnehmen begriffenen Schnupfer zurückging und auch durch ähnliche Erzeugnisse aus Blech, Email und Porzellan verdrängt wur¬ den, hörte die durch ein Jahrhundert bestandene Dosenindustrie in Reichenau kurz vor der Jahrhundertwende auf, lohnend zu sein und wurde gänzlich eingestellt Noch sei die umständliche Herstellung der runden Schnupftabaksdosen in beiläufiger Weise beschrieben. Die aus Radl oder Hanichen bezogenen Pap¬ pendeckel wurden in lange, der Höhe der Dosen entsprechende Streifen geschnitten, diese mit Kleister beschmiert über eine Walze gelegt, zu Ringen geformt, dann in Leinöl getränkt und getrocknet, wodurch sie eine gewisse Härte erlangten. Diese Ringe wurden nun vom Drechsler auf der Drehbank zu der genauen Rundung bearbeitet und die Böden und Deckel in die Ringe eingepaßt. Die aus dieser Bearbeitung entstandenen Dosen wurden nun grundiert und glattgeschliffen. Auf den grauen Untergrund wurden sie Schwarz angestrichen, erhielten dann rote oder marmorierte Flecken. Einige Male wurden die Dosen mit einem Lack bestrichen, dessen Zusammensetzung das Geheimnis der einzelnen Fabrikanten war und strenge gehütet wurde. Endlich wurden die Dosen auf Drahthürden geschlichtet und im Trockenofen bei beträchtlicher Hitze gehärtet. In späterer Zeit wurden die Dosendeckel mit Perlmutter oder Silberplättchen kunstvoll belegt oder mit kleinen Gemälden verziert. Ein Dosendrechsler verdiente in den letzten Jahren nur noch bei langer Arbeitszeit täglich 24 bis 30 kr., ein Dosenschleifer 18 bis 20 kr., die Maler und Ausleger 60 bis 80 kr. Es beschäftigten sich nur noch die älteren Leute mit der Dosenarbeit, die jüngeren wandten sich der lohnenderen Olmalerei, Gürtlerei oder Glas¬ industrie zu. Die Lebensweise der Dosendreher und =Schleifer war durch den geringen Verdienst bedingt die denkbar einfachste und bescheidenste. Sie bestand früh aus Einbrenn= oder Gisselsuppe, zu Mittag aus Suppe oder Erdäpfeln und abends desgleichen. Kaffee kam höchstens Sonntags oder an höheren Festtagen auf den Tisch. Fleisch war den Leuten trotz seiner Billig¬ keit ein seltener Genuß. Die ärmeren Leute zerklopften die Kaffeebohnen in Ermangelung einer Kaffeemühle mit dem Hammer oder zerstießen sie in einem Mörser Der Kaffee dürfte in Reichenau erst nach dem Anfange des 18. Jahr¬ hunderts bekanntgeworden sein, da die alten Leute erzählten, daß Ignaz Schöffel den ersten Kaffee von einer Geschäftsreise aus Prag mitgebracht 94

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