Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

/Von der Mutter. Von meiner Mutter habe ich es.' Merkwürdigerweise war die Klasse stillgeblieben bei dem ScherZ/ es wurde nicht einmal viel gelacht, als Hannes mich fragte, wozu ich die Farbe brauchte, ich sei doch kein Zeichenlehrer. Die Mutter Marios war wohl eine Italienerin. Dem Schülerbeschreibungsbogeri konnte ich allerdings nicht mehr entnehmen,als daß sie in Salo am Gardasee geboren war und vor der Heirat mit Hermann Preinfalk Tosetto geheißen hatte, Marietta Tosetto. Sommerbekanntschaft, die zu einer Ehe geführt hat, hatte ich damals, vor drei Jahren, gedacht, als mir die Klasse mit Mario übergeben worden war. Daß Mario zu jener Zeit schon das zweite Jahr im Kin derheim wohnte, hatte mir keine Kopfschmerzen bereitet, dafür mochte es viele Gründe geben. Als Wohnort der Preinfalks schien L. auf, 100 km von unserem Ort entfernt. In all den drei Jahren, die ich nun die Klasse führte, waren weder der Vater noch die Mutter Marios einmal zu mir gekommen, unbe dingt notwendig war es auch nicht gewesen: Mario war ein stiller Schüler, in den Hauptgegenständen kam er gut zurecht. Neben Hannes war er sogar eine Leuchte." „Nun bin ich aber etwas abgekommen", sagte Leh rer S., „wo waren wir stehengeblieben? Ja, beim Anruf des Postenkommandanten. Meine Frau und ich rätselten also herum, was da wohl geschehen sein mochte, daß Mario zwei Stunden nach Beginn des Abendessens im Kinderheim noch nicht daheim war. /Vielleicht hat er sich doch nur verspätet',sagte meine Frau. ,In der Au ist der Kirchweihrummel, der lockt natürlich die Kinder. Und Kinder sind sie mit drei zehn Jahren auch noch. Allerdings... zwei Stunden nach der Essenszeit, der regelmäßigen ...' Als ich den Kopf schüttelte, fragte sie: ,Oder denkst du ... an ein Verbrechen?' Nein. Daran dachte ich nicht. Mario war ein Junge, kein Mädchen. Ich wollte nicht an ein Verbrechen denken, aber da gibt es doch auch Abartige. Jeden falls wurde ich bis gegen neun Uhr hin so unruhig, daß ich beschloß, ins Kinderheim zu gehen. Was ich dort wollte, hätte ich im Augenblick gar nicht so recht sagen können, es trieb mich einfach an die Stelle, die dem Rätsel noch eine Schicht näher lag als ich selbst. Die Vorsteherin des Kinderheims schien gar nicht erstaunt zu sein, als ich kam. ,Ja', sagte sie, ,das ist das Schlimmste,einfach dasitzen und warten zu müs sen, ohne selber etwas tun zu können. Die Gendar men haben den Rummelplatz abgesucht, aber Mario nicht gefunden. Jetzt gehen sie in die Häuser, wo seine Mitschüler wohnen,vielleicht von diesen etwas zu erfahren. Aber die meisten werden schon schlafen.' /Hannes Kienböck', sagte ich. ,Wenn einer etwas wüßte, dann wäre es der. Sie waren immer recht gut mitsammen. Darf ich einmal die Gendarmerie an rufen?' Der Postenkommandant antwortete auf meinen Hin weis, daß Name und Anschrift von Hannes' Eltern bereits auf einer Liste stünden, die er einem seiner Beamten mitgegeben habe. ,Die Liste hat uns Ihre Direktion zur Verfügxmg gestellt', sagte er. ,Sehr viele Schüler sind es ja nicht. Und vielleicht erfahren wir dort etwas Brauchbares.' Als mir nach einer Weile der Gedanke kam, selber zu Hannes zu gehen, bat mich die Vorsteherin, zu bleiben und sie nicht allein zu lassen; vielleicht sei Hannes auch schon befragt worden, und er müßte dann zum zweitenmal aus dem Schlaf gerissen wer den. Während der folgenden Stunde erzählte mir die Vor steherin noch vieles von Marios Leben, das ich bis her nicht gewußt hatte: Die Ehe seiner Eltern sei bereits vor fünf Jahren geschieden worden; damals habe Hermann Preinfalk ihn gebracht und um Auf nahme gebeten. ,Er hat natürlich seiner Frau die Schuld gegeben', sagte sie, ,die Mutter soll eines Tages einfach aufgebrochen und weggefahren sein, heimzu,da nach Salo hinunter. Vielleicht ist manches an seinen Beschuldigungen auch wahr gewesen. Das Gericht hat jedenfalls Mario ihm zugesprochen. Die Frau soll nicht einmal zur Verhandlung erschienen sein.' Ich fragte,ob der Vater sich weiterhin um den Jungen gekümmert habe. ,Oja', war die Antwort.,Er ist im Jahr so drei-, vier mal gekommen, hat Mario für ein paar Stunden mitgenommen xmd in eine Konditorei geführt. Der Mann sieht gut aus. Äußerlich zumindest. Er ist Ver treter einer großen Firma.' /Und die Mutter? Sie hat sich nicht mehr sehen las sen?' /Einmal war sie hier. Vor zwei Jahren. Es war sehr eigenartig. Kommt da an einem Sonntag,gegen drei

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