Oberösterreich, 25. Jahrgang, Heft 4, 1975

Uhr nachmittags, eine junge Frau, ziemlich ärmlich gekleidet, auch sonst etwas heruntergekommen, Fri sur, Gesicht und so. Sie verlangt in gebrochenem Deutsch Mario zu sprechen, sei seine Mutter. Ich fordere einen Ausweis, sie zeigt ihren Paß, Marietta Preinfalk. Mir ist trotzdem nicht ganz wohl bei der Sache,die Frau scheint es zu merken und sagt: Habe Kind vor drei Jahren zum letztenmal gesehen, war acht Jahre alt. Können verstehen, was bedeutet? Viel leicht sind selber Mutter? Weiß gar nicht, ob Mario wird noch kennen mich! Bitte! Ich lasse Mario rufen, ohne ihm einen Grund hiefür anzugeben,er tritt ins Büro herein. Ein Blick auf mich, auf die Frau, ein Schrei, Mutter! Er läuft auf sie zu, sie schließen ein ander in die Arme. Der Junge weint, weint richtig, die Frau streicht ihm ununterbrochen über das Haar, bittet: Nicht weinen,Mario,nicht weinen! Bist schon so groß geworden, darfst nicht weinen wie kleines Mädchen! Ich kann das nicht mitansehen, gehe hin aus und warte vor der Tür.Eine Weile nachher kom men die beiden, und die Mutter bittet, mit Mario weggehen zu dürfen. Nur Stunde, bittet sie, einzige Stunde,bin mit Herrschaft auf Durchreise und haben mir gegeben eine Stunde. Als ich nicht sofort ant worte, sagt sie: In einer Stunde ich bringe Mario zurück, bei Mutter Gottes! Geht ihm gut hier, kann sehen, werde nicht ihn mitnehmen nach Italien, ohne italienische Sprache, zu Herrschaft, die hat selber drei Kinder. Bei Herrn Jesu Christi in Himmel, ich werde nicht unglücklich machen Mario! Ich lasse die beiden weggehen, sehr wohl ist mir nicht dabei. Aber nach einer Stunde kommen sie wirklich zurück. Arm in Arm, wie zwei Liebende. Die Mutter hat Mario einen Ring gekauft, billig, goldfarbenes Blech, gefärbtes Glas, ich sehe ihn so fort an seinem Finger. Zum Abschied weint er wie der,küßt die Mutter auf die Wange,den Mund,küßt ihre Hände. Mario, bittet sie, tu nicht! Muß jetzt weggehen, aber bin doch nicht aus Welt! Und nächstesmal,wenn Herrschaft wieder fährt nach Salzburg, ich komme,bin wieder da,in diese Zimmer! Ist gut? Als der Junge sich halbwegs beruhigt hat, sagt die Mutter zu mir: Dürfen nicht glauben, daß ich allein war schuld an Trennung von Preinfalk. Er, ich, an dere Frau, aber hat nicht mehr Sinn, darüber zu sprechen. Sie geht dann.'" „Etwas später", sagte Lehrer S., „rief der Posten kommandant an. Er teilte uns mit, daß die Befra gung der Schüler so gut wie ergebnislos geblieben sei, einzig Hannes Kienböck habe etwas zu vermel den gewußt: Während des Vormittags, in der Deutschstunde von 9 bis 10, habe Mario ihm plötz lich zugeflüstert,daß er nachmittags fortgehen werde; fortgehen, nur einfach fortgehen, nichts anderes, kein Wort mehr;ihm,Hannes,sei das so merkwürdig vorgekommen, daß er es dem Klassenvorstand mit teilen habe wollen, vor lauter Eile des Lehrers aber nicht dazugekommen sei; später, in den folgenden Stunden,habe er dann darauf vergessen." „Zwei Tage nachher",sagte Lehrer S.,„wurde Mario gefunden: zwölf Kilometer von hier, schon jenseits des Pötschenpasses, in einer alten Rindenhütte, gar nicht weit von der Straße entfernt. Beinahe die ge samte Bevölkerung des Salzkammergutes hatte sich an der Suche beteiligt, aber die Krankenhausärzte hatten sofort erklärt, daß Mario schon die erste Nacht erfroren sei: den Kälteeinbruch nach Aufhören des Föhns habe er in seiner leichten Kleidung und in seiner Blutarmut unmöglich überstehen können. Der Vater Marios und die Frau, die er mitgebracht hatte, saßen während der zweitägigen Suche im Hotel — was hätten sie sonst auch tun können —,der Vater erzählte jedermann, der es wissen wollte, er habe Mario doch geschrieben, daß nun endlich die Zeit gekommen sei, ihn wieder heimzuholen, die Frau, die er geheiratet habe und die er ihm Samstag vor stellen wolle, besitze alle Eigenschaften, ihm eine zweite und bessere Mutter zu werden." „Der Brief", schloß Lehrer S., „fand sich auch in der Rocktasche Marios." Ja, zehn Jahre ist das nun schon her, aber ich werde es weiter tragen müssen und werde kaum je zu einem Ende kommen: Wenn ich Hannes damals auf gerufen hätte... wenn ich an die andere Schule zu spät gekommen wäre, dafür aber Mario an meine Seite genommen und den Arm um seine Schultern gelegt hätte... „Du, was ist das für ein Unsinn! Und wenn du schon eine andere Mutter durchaus nicht haben willst, in ein paar Jahren bist du groß jährig und kannst tun, was du willst! Aber fang doch jetzt nicht etwas an, von dem man nie sagen kann, wie es ausgehen wird! Gib mir die Hand dar auf, daß du nicht fortläufst! Du, Mario, wir haben uns doch immer gut vertragen miteinander, gib mir die Hand!" Vielleicht hätte er sie mir gegeben? ,

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