Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 3/4, 1966

Hans Commendo Vergleichende Volkskunde der oberösterreichischen Städte Sämtliche Aufnahmen: M. Eiersebner Zeitgemäße Volkskunde erforscht als Geisteswissenschaft die seelische Artung eines Volkes sowie das Wirken der in ihm lebendigen, gestaltenden Kräfte. Sie bleibt freilich zur Errei chung dieser letzten Ziele an das Auswerten der zahl reichen, sinnlich wahrnehmbaren Äußerungen des Volkslebens gebunden, darf sich aber weder auf dessen seltsame und auffällige Ausprägungen beschränken noch einzelne Gruppen bevorzugen, sondern muß stets die Gesamtheit der Merkmale und das Volksganze im Auge behalten. Wilhelm Heinrich Riehl, der Begründer unserer wissenschaft lichen Volkskunde, befreite schon vor gut hundert Jahren die Volksforschung vom bisherigen Gängelband germanischer Philologie und nordischer Mythologie und wies sie auf das Betrachten der im Volk bestehenden Gemeinschaften hin. Trotzdem blieb die junge Wissenschaft allzulange in der Erforschung des Bauerntums befangen, das vor hundert Jah ren freilich noch 75 von Hundert des Volksganzen ausmachte, heute aber kaum 16 von Hundert beträgt. Naturgemäß rücken damit der Markt, die Stadt, ja selbst die Großstadt in das Blickfeld der Forschung. Gleichzeitig bahnt sich auch eine grundsätzliche Änderung der Blick richtung an. Bisher fast ausschließlich auf die Vergangenheit eingestellt, wendet sie sich nunmehr auch der Gegenwart zu. Österreich kann dabei auf zwei bahnbrechende Werke ver weisen, auf den „Äbriß der Wiener Volkskunde" von Leopold Schmidt und die zweibändige „Volkskunde der Stadt Linz" vom.Schreiber dieser Zeilen. Soziologisch (gesellschaftlich) gesehen, erstreckt sich heute das Ärbeitsgebiet der Volkskunde nicht mehr allein auf die bisher beachteten Gemeinschaften des ländlichen Lebens, sondern umfaßt nunmehr auch jene der Handwerker, Bürger und Ädeligen; sie beschäftigt sich desgleichen mit den Gemein schaften der Schulen, Vereine, Betriebe und bezieht die Stände der Ärbeiter und Ängestellten in ihre Betrachtung ein. ökologisch (wohnungsmäßig) eingestellt, befaßt sich heute die Volkskunde mit der vielfachen Verzahnung von Stadt und Land, vor allem mit dem Pendeln zwischen Ärbeitsort und Wohnstätte. In Linz zählt ein Ächtel der gesamten und ein Drittel der schaffenden Bevölkerung zu den äußeren Pendlern der Stadtregion, dazu kommen die inneren Pendler im Rahmen des eigentlichen Stadtgebietes. Diese stete Be rührung zwischen Stadt und Land bleibt auf das Volkstum selbstverständlich nicht ohne Einfluß. Biologisch (lebensgesetzlich) erschaut, erweist sich die Stadt als Gebiets-, Daseins-, Ärbeits-, Verteidigungs-, Verwaltungs und Wirtschaftsgemeinschaft. Wie der einzelne Mensch durch Lrbwelt — Änlage, Umwelt — Erziehung, Ligenwelt — Persön lichkeit geprägt wird, so wird die Stadt bestimmt durch ihre Lage, Geschichte und Bevölkerung. Psychologisch (seelisch) erfaßt, bietet die Stadt ein anschauliches Bild vom steten Kreisen der Kulturgüter. Sie nimmt beständig Änregungen vom Lande, von anderen Städten auf, formt sie um, baut sie aus und gibt sie weiter. Die kleine Stadt erblickt dabei ebenso in der großen Stadt ihr Vorbild wie die ländliche Bevölkerung in der städtischen. Dieser gegenseitige Äustausch vollzieht sich um so wirkungsvoller, als er triebhaft und unbewußt erfolgt. Die nachstehenden Darlegungen versuchen nun, im beschei denen zur Verfügung stehenden Rahmen noch einen Schritt weiter zu gehen und vom Betrachten einer einzelnen Stadt zum volkskundlichen Vergleich der oberösterreichischen Städte vorzustoßen, öberösterreich ist nun ein vielgestaltiges Land. ' Zimmermannskrug, Hochblüte der Gmundner Keramik, Mitte 18. Dahrhundert, oö. Landesmuseum.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2