Oberösterreich, 16. Jahrgang, Heft 3/4, 1966

gutes weiter erzeugt. Bei den metallverarbeitenden Gewerben sind hier die Messerer und Taschenfeitelerzeuger der Bezirke Steyr und Kirchdorf und die Maultrommelmacher aus Mölln anzuführen. Zinngießer haben wir keinen mehr, hingegen werden noch Grießkochkupfer, Fleisch- und Milchhäfen, Fisch wandel u. a. in der originalen Art vor allem in einer Kupfer schmiede des Salzkammergutes erzeugt. Damit dürfte die primäre Gruppe in Oberösterreich erschöpft sein. Zur „Sekundärschicht" zählen fast alle neuen Erzeugnisse der sogenannten „Volkskunst". In sachlicher Hinsicht gehören hieher die Kleidung (Tracht), die Gerätschaften, kultische (für Religion und Brauchtum, z. B. Kruzifixe geschnitzt aus Holz, aus Stroh, Hinterglasbilder, Lebenskerzen, Weihnachts pyramiden, Räuchermandel) und profane (für den persönli chen Gebrauch und Hausrat zur Ausschmückung des Heims) und das Mobiliar zur Wohnraumgestaltung. Der Umfang ist also wiederum weitgespannt und reicht von der Wiege bis zum Grabkreuz. Die geistige Grundlage der „Sekundärschicht" bildet die be wußte, vom Akademischen her getragene Pflege der überlie ferungsgebundenen Volkskultur. Diese Erscheinung ist typisch für unsere Zeit des wirtschaftlichen und soziologischen Struk turwandels und als eine Art „reactio" geradezu naturnotwen dig bedingt. Sie hat auch bereits ihre eigene Geschichte, die in den Tagen des völkischen Zusammenbruchs nach dem ersten Weltkrieg allgemein sichtbar begann (Begründer war schon Erzherzog Johann) und die zunächst von den christli chen und nationalen Kräften mit dem Ziele getragen wurde, das deutsche Österreich zu erhalten und später, nach vielen Wirrungen, den Staat innerlich zu festigen. Heute ist die Volkstumspflege ein Teil der allgemeinen Kulturpflege und hat die Aufgabe, altes, noch lebensfähig und wertvoll er scheinendes Gut auf den Gebieten des Geistes und der Sach kultur unserem Volke zu erhalten und neue Impulse zu geben. Sie ist um eine sachliche, moderne Arbeitsweise bemüht und entfaltet ihre Tätigkeit in enger Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen des Landes, und zwar mit dem Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege, mit den Volkshochschulen, der Landwirtschaftskammer, dem Wirtschaftsförderungsinstitut, den konfessionellen und überkon fessionellen Erwachsenen- und Jugendbildungseinrichtungen. Die bewußte Volkstumspflege entstand im Bereich der Stadt und geht auch heute noch von ihr aus. Die Erfolge, die sie bis jetzt erzielt hat, sprechen für sich. Über die Jugend organisationen wird die bäuerliche und die städtische Jugend angesprochen, über die Erwachsenenbildung werden die Erwachsenen und die Alten betreut und über die Organisatio nen der Wirtschaftsförderung, zu denen im weiteren Sinne auch das Heimatwerk gehört, werden die Betriebe des Gewer bes erreicht. Das Ziel ist kein geringeres als das Streben nach einer neuen Volkskultur und damit auch nach einer neuen Volkskunst, die organisch von der bodenständigen Über lieferung ausgeht und schließlich zu eigenen, unserer Zeit gemäßen, neu geprägten Gestaltungen führen soll. Wir sind heute von diesem Ziel noch weit entfernt, es „hängt" gleich sam vieles nebeneinander in der Luft, aber es wird vom Gelingen dieses Formungsprozesses abhängen, ob Verbrau cher und Erzeuger wieder zu einer großen Gemeinschaft mit einer jedem verständlichen Formensprache finden. Erst dann, wenn das bewußt Erneuerte zum unbewußt Verlangten, Selbstverständlichen, zum Bedürfnis wird, werden wir wieder zu einer echten Volkskunst gelangen. Was wir hingegen jetzt besitzen, ist nicht oder noch nicht „Volkskunst", sondern ein vielschichtiges Nebeneinander von Handwerk, Kunsthand werk, industrial designing in rustical style, von Freizeit- und Pensionistenbeschäftigung. Charakteristisch für unsere Zeit der absoluten Perfektion ist es auch, daß viele Erzeugnisse im „Stile der Volkskunst" absolute Spitzenleistungen in ge schmacklicher und qualitativer Hinsicht darstellen, die ihre Vorgänger bei weitem übertreffen. VHr betonen auch, daß es hier nicht um Wertungen geht, es soll weder das Alte noch das Neugeschaffene bevorzugt oder gar diskriminiert werden, sondern um den Versuch einer Diagnose, einer Fest stellung des gegenwärtigen Zustandes. Die Anzahl der „Neuschöpfungen", also jener Erzeugnisse, die, anknüpfend an die Überlieferung, aus unserer Zeit heraus geboren wurden, für diese bestimmt sind und von ihr, wie die Erfahrung beweist, auch gerne aufgenommen werden, ist zwar klein, aber immerhin hoffnungsvoll. Hieher gehören vor allem Brauchtumsgegenstände, wie Strohsterne und Christbaumschmuck, bemalte Wagenräder als Christbaum ständer, Apfellichter und Osterbäumchen. Wir haben hier in Oberösterreich sehr einfallsreiche und produktionskräftige gewerbliche und kunsthandwerkliche Betriebe. In diesen Kreis gehört auch eine Grabkreuzform, die einerseits das Ende einer langen Entwicklung und andererseits vielleicht den An fang einer neuen bilden könnte, das den Tod überwindende Monstranzenkreuz. Zwei tief religiöse Kunstschlosser kamen auf die Idee,zwei Menschen, die außerordentliches handwerk liches Können mit einem feinen künstlerischen Einfühlungsver mögen verbinden: der ältere Matthäus Müller aus Vöcklabruck und der jüngere Wolfgang Pöttinger aus Grieskirchen. Wenden wir uns nun den Verbrauchern (Konsumenten) zu. Wir haben gesehen, daß früher Bauern und Handwerker, also „das Volk", Verbraucher und Hersteller von Werken der „Volkskunst" waren, und daß dieses Volk in geistiger, kul tureller und materieller Hinsicht eine große Einheit bildete. Die anderen „höheren" Stände beachteten diese Volkskunst ihrer Zeit kaum. Ein gründlicher Wandel in der Struktur unseres Volkes bescherte uns zunächst zwei große Gruppen, die in sich viele Stufungen aufweisen: die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, oder, um in der Sprache des Finanzamtes zu reden, die „selbständig Erwerbstätigen" und die „unselb ständig Erwerbstätigen". Zu den ersteren gehören die Bauern (Klein- und Großbauern, Großgrundbesitzer), die Gewerbetreibenden (Handwerker, Industrielle, kleine und große Handelskaufleute) und die zahlreichen Freiberuflichen (aus meist akademischen Berufen). Zu den letzteren gehören die Landarbeiter, die Arbeiter in Gewerbe und Industrie, die Angestellten der Privatwirtschaft und die Beamten der öffentlichen Hand. Folgende Tatsachen sind für uns noch wesentlich: Die Bewoh ner der Stadt sind dem Bauern immer noch Vorbild. Der Geltungsdrang und die Nachahmung der wirtschaftlich stärkeren Schichten durch die wirtschaftlich schwächeren sind ein Naturgesetz, das stufenweise wirkt; es beginnt vehement bei der technischen Ausstattung des Lebens und endet, bereits abgeflacht, bei den kulturellen Bedürfnissen. Die industrielle Massenfabrikation, die modernen Kommuni kationsmittel und das Streben nach „Standard" bewirken eine Lockerung aller Gemeinschaften einschließlich der Familie in Stadt und Land. Besonders betroffen ist davon das bäuerliche Dorf durch eine „Flucht" seiner Bewohner zu den Industrie zentren und durch eine grundlegende wirtschaftliche Umfor mung. Die harten Gesetze der Technik und der Industrie bestimmen das Leben jedes einzelnen. Der Alltag des Berufes zwingt ihn meist zu einer zermürbenden, entnervenden Arbeit. Als natürliche Reaktion darauf sucht der Mensch wieder die Intimsphäre, die er je nach Bildungsgrad, Geschmack und Einkommen entweder im billigen Kitsch oder in einer Hin wendung zur naiven Volkskunst der alten Zeit bzw. in einer Liebe zu den neuen handwerklichen Erzeugnissen, die im „Stile der Volkskunst" geschaffen werden, zu finden hofft. Hektische Übersteigerungen ändern nichts an der Echtheit dieser Erscheinung, die einem Bedürfnis entspricht.

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