Oberösterreich, 14. Jahrgang, Heft 3/4, 1964

FRANZ HANDLBAUER Der oberösterreichische Bauer und sein Betrieb heute Es geht hier keineswegs um die Beschreibung eines statischen Zustandes, in dem sich eine Wirtschaftsgruppe befindet oder in den sie geraten ist. Die Welt des Bauern von heute ist viel mehr äußerst bewegt. Alle Bereiche seines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sind im Fluß und scheinen nie mehr die Ausgewogenheit und die Stetigkeit früherer Zeiten er reichen zu können. Die bäuerliche Siedlung in Oberösterreich reicht in die früheren Siedlungsperioden nach der Jahrtausendwende zurück. Die Besiedlung hat sich im späten Mittelalter dann noch bis in die Höhenlagen ausgebreitet. Die Struktur, Wirtschaftsweise und Betriebsorganisation wurde durch die Wechselwirkungen mit den Geschehnissen der ablaufenden Jahrhunderte beeinflußt und zu dem Zustand geführt, in dem die Landwirtschaft bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verharrte. So vielseitig die ge schichtlichen Einwirkungen auf die Landwirtschaft stets wa ren, haben sie doch gewisse Prinzipien der Betriebsführung nie wesentlich verändert. Was waren denn diese wesentlichen Prinzipien der Bauernwirtschaft alter Art? Vor allem war es einmal die Art des Selbstversorgerbetriebes, der die Erzeugung nicht nur der Lebensmittel, sondern auch der Gerätschaften, der Kleidung und dergleichen einschloß. Die Arbeitsver richtung basierte auf der „Zugtier-Handarbeitsstufe". Die Betriebsorganisation war außerordentlich vielseitig. Die Wirfschaftsführung arbeitete mit geringem Sach- und hohem Arbeitsaufwand, wenn auch dieser wegen der geringen Lohn kosten nicht stark zum Tragen kam. Die Produktion für den Markt war relativ gering und damit auch die Abhängigkeit, wenn auch mangels entsprechender Vermarktungseinrichtun gen die Preis- und Absatzsituation zum Teil sehr schwankend war. Die bäuerliche Familie, meist kinderreich, wurde als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auch in kleineren Betrieben ergänzt durch Fremdarbeiter. Der Gesindebetrieb war typisch. Auf Grund des starken Arbeitskräftebesatzes war ein ent sprechend dicht besiedeltes Dorf die Folge und damit ein reiches gesellschaftliches und kulturelles Leben. Sicherlich wurde diese Welt durch die Frühentwicklung der Technik be einflußt. Die Erfindung der Eisenbahn und die Frühstufen der industriellen Entwicklung haben marktwirtschaftliche Folgen gezeigt, die Bauernbefreiung und der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie haben gänzlich neue Orientierungen gebracht. Auch agrartechnische Neuerungen haben die Bauernwirtschaft stark beeinflußt — man denke nur an die Ausweitung der Hackfrucht, an die Einführung des Kleebaues und ähnliches. Aber alle diese Einwirkungen haben nur Reaktionen der Bauernschaft und des bäuerlichen Be triebes in Teilbereichen gebracht. Die Grundzüge des bäuer lichen Hofes und des Menschen sind gleichgeblieben. Zu Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts hat infolge der rasanten Industrialisierung eine revolutionäre Entwicklung am Lande eingesetzt, die alle Bereiche erfaßte und in den Grundfesten erschütterte. Die Industrie hat speziell im ober österreichischen Zentralraum Massenarbeitsplätze geschaffen. Diese wirkten einen ungeheuren Sog auf die bäuerlichen Arbeitskräfte aus. Waren es mit Kriegsende bis etwa 1952 vor allem die landwirtschaftlichen Fremdarbeitskräfte über 30 Jahre, die von der Landwirtschaft abwanderten, so folgten bis 1958 sehr rasch auch die jüngeren Jahrgänge und die weichenden Kinder, speziell die männliche Jugend verließ schon frühzeitig das Vaterhaus. Nach 1958 können wir nun verstärkt die Abwanderung von vielen Bauern selbst fest stellen, und die Fremdarbeitskräfte sind auf ein Minimum reduziert. Auch darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß die männlichen abgewanderten Arbeitskräfte meist wieder eine weichende Bauerntochter als Frau nahmen, was verstärkt den Arbeitskräfteentzug förderte. Es muß hier ausdrücklich fest gehalten werden, daß nicht die Landwirtschaft die Arbeits kräfte freigegeben hat infolge der Technisierung, sondern daß durch den entstehenden, zu rasanten Sog der Industrie der Bauer gezwungen wurde, die abgewanderten Arbeitskräfte Schritt für Schritt durch die Mechanisierung zu ersetzen. Ersteres wäre vielleicht in einer ruhigen agrartechnischen Evolution möglich gewesen, letzteres wurde durch die sprunghafte In dustrialisierung verursacht. Die Reaktionen der Bauernschaft waren daher naturgemäß nachhinkend und nicht harmonisch. Der enorme Kapitalbedarf war wohl hier der Hauptgrund. Daß die Landwirtschaft die Technisierungswelle der fünfziger Jahre in dem Ausmaß überhaupt finanzieren konnte, war im über wiegenden Ausmaß dem Eingriff in die Substanz (Wald) und dem Verzicht auf Konsum des landwirtschaftlichen Ein kommens zuzuschreiben. Der Betrieb Infolge des sehr stark einsetzenden Arbeitskräftemangels, vor allem aber auch des Mißverhältnisses zwischen Landarbeiter löhnen und Agrarpreisen, kam es in den letzten zehn Jahren zu starken Betriebsauflassungen. Es handelte sich dabei meist um kleinere Betriebe, die nicht vom Besitzer selbst bewirt schaftet waren bzw. bei denen der Besitzer im Betrieb nicht mitarbeitete. Der Reinertrag (Verzinsung des Kapitals) ist derart gering geworden, daß es für die Betriebsinhaber un interessant war, die Wirtschaft weiterzuführen. Einen Betrieb führen, nur um Arbeiter zu beschäftigen, ist einem Privat mann schließlich nicht zumutbar. Gewerbebetriebe, Pfarrhöfe, freie Berufe und dergleichen haben daher ihre Betriebe aufge lassen, die Gründe verpachtet,seltener verkauft. Die landwirtschaftlichen Betriebszählungen von 1951 und 1960 veranschaulichen die Entwicklung sehr deutlich. 1951 gab es in Oberösterreich noch 78.360 Betriebe, 1960 nur mehr 75.246 Betriebe insgesamt. Neben der absoluten Abnahme der Be triebe ist aber sehr bemerkenswert eine Verschiebung der Existenzbasis. Tabelle 1 Land- und forstwirtschaftliche Betriebszählung 1951,1960 nach Existenzgruppen Vollerwerbs- Nichtlandw. Nebenerwerb betriebe untergeordnet übergeordnet 1951 1960 48.580 36.971 3.540 8.200 25.546 29.364 Während die absolute Abnahme insgesamt 3114 Betriebe be trug, war die Abnahme der Vollerwerbsbetriebe im gleichen Zeitraum 11.609 Betriebe oder 24 Prozent! Die Verschiebung hat sich also in Richtung der Betriebe mit Nebenerwerb voll zogen. Die relativ sehr wenig steigenden landwirtschaftlichen Preise und die höheren Einkommensansprüche haben viele 42

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