OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 3

Schriftum Charakter gehabt habe, wofür die außerordentlich rasche Erledigung der Eingabe spreche: schon am 11. Juni erhielt Kepler, der von Prag nach Linz gereist war, um seine Bewerbungsschrift persönlich zu überreichen, die Bestallungsurkunde ein¬ gehändigt. Es verging aber aus verschiedenen Gründen noch fast ein Jahr, bis Kepler seine Stelle an der Linzer Landschaftsschule antrat. Mitte April 1612 nahm er mit ausdrücklicher Bewilligung des neuen Kaisers Matthias, der ihn nach dem Tode Rudolphs II. als Hofmathematiker bestätigt hatte, Abschied von Prag. Er brachte seine Kinder, die durch den Tod seiner Gattin Barbara, einer Grazerin, zu Halbwaisen geworden waren, nach Kunstadt in Mähren und reiste selbst über Brünn nach Linz weiter. In der zweiten Hälfte Mai des Jahres 1612 zog Kepler als einsamer Mann in die Stadt seiner Hoffnung ein. „Es wurde zum Ereignis für die anmutige Donaustadt, als der kaiserliche Mathematiker Johannes Kepler seinen Wohnsitz daselbst aufschlug, und daß er 14 Jahre an diesem Orte verblieb, länger als an irgend einer anderen Station auf seiner irdischen Wanderung, muß in der Geschichte der Stadt auf einer be¬ sonderen Seite gebucht werden. So hebt unter dem Titel „Als Landschaftsmathematiker in Linz" das vierte Kapitel des Buches an, das nicht nur das umfangreichste, sondern auch das gehaltlich wie gestaltlich großartigste des ganzen Werkes ist. Denn es enthält nicht nur einen von dramatischen Spannungen erfüllten, in seiner Geschlossenheit geradezu künstlerisch wirkenden Bericht über den Hexenprozeß gegen Keplers Mutter, sondern es bringt auch eine in letzte Tiefen reichende Würdigung jenes überragend großen Werkes, das die Krönung von Keplers gesamtem Schaffen darstellt: der in Linz entstandenen und auch in dieser Stadt gedruckten „Harmonice Mundi“6), von der Caspar in überzeugender Weise nach¬ weist, daß sie zu dem Erhabensten gehört, was der menschliche Geist gedacht und gedichtet hat. Mit einer ungewöhnlichen Einfühlungs- und Erklärungsgabe weiß Caspar den Leser für dieses Werk, das er eine „Summa der Renaissance“ nennt, zu gewinnen, zu erwärmen, zu entflammen — denn, durchweht vom Atem heiliger Begeisterung, wächst sein Vermittlerwort zur hohen Kündersprache, die wie ein orgelhaftes Instrument die innere Musik von Keplers „Weltharmonik“ als „eine grandiose Fuge über das Thema Welt - Seele - Gott“ vor uns ergriffen Horchen¬ den ertönen macht. Die Tatsache allein, daß dieses einzigartige Buch, dieses Werk von dauernder Weltgeltung in Keplers Linzer Zeit ausgereift und zur Vollendung gediehen ist, hätte die überlieferte Meinung, Linz habe Kepler das Leben verleidet und sei seinem Schaffen hinderlich gewesen, schon längst vor der Zeit widerlegen müssen, in der Franz Isidor Proschko mit der Veröffentlichung urkundlicher Zeugnisse den *) Dankenswerter Weise stellt Caspar ein für allemal die Fehlerhaftigkeit des in der Kepler-Literatur häufig zu lesenden Titels „Harmonices Mundi“ fest. Dieser Irrtum ist auf eine Flüchtigkeit im Lesen des vollen Titels „Harmonices Mundi libri V . .. zurückzuführen. „Harmonices“ ist der Genetiv eines von Kepler aus dem Griechischen in sein Latein übernommenen Wortes, das wir mit „Harmonik“ (Lehre von der Harmonie) wiedergeben. 273

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