7. Jahresbericht der k. k. Realschule in Steyr, 1877

25 wahrscheinlich niemals von dem Dasein der Elektricität als einer der grossen Naturkräfte eine Ahnung gehabt. — Die künstlich erzeugten Fälle besitzen aber den natürlichen gegenüber viele Vorzüge, - von denen wir nur den erwähnen, dass wir eine künstlich erzeugte Erscheinung gewisser¬ massen mit uns nach Hause nehmen und mitten unter Umständen beobachten können, mit denen wir in jeder andern Hinsicht genau vertraut sind. Wir schliessen diesen Absatz mit den Worten des berühmten Ex¬ perimentator's Tyndall: „Versuche sollen die Repräsentanten und Ausleger des Gedankens sein, eine Sprache, die sich an das Ange wendet, wie die Worte an das Ohr. Im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Deduction wirkt nichts cindringlicher und belehrender, als ein passender Versuch; von seinem Zusammenhange getrennt, dient er mehr dem Zwecke des Zauberkünstlers, zu überraschen, als jenem Zwecke der Bildung, der der leitende Beweggrund der Wissenschaft sein sollte. Eine Frage noch können wir nicht unberührt lassen, nämlich die: Wieviel soll vom physikalischen Lehrstoff auf der Elementarstuse vorge¬ nommen werden? — Es ist nicht schwer zu zeigen, dass alle unsere Lehr¬ bücher der Physik, diejenigen für Volks- und Bürgerschulen sowol als die für die Unterklassen der Mittelschulen (ja man kann es auch auf diejeni¬ gen für die Oberklassen ausdehnen) einen so reichhaltigen Stoff bieten, wie er auf dieser Stufe nicht bewältigt werden kann, wenn die Schüler einen wirklichen Nutzen von dem Gegenstande haben sollen. Nehmen wir nur irgend ein Lehrbuch der Physik zur Hand, zunächst eines für Volks- und Bürgerschulen, und zwar nur ein solches, das „mit hobem k. k. Ministerialerlas zulässig erklärt“ ist. Womit beginnt es? Doch mit einer Erscheinung, welche den Schüler sogleich in die Natur einführt? Gott bewahre! Wenn du Physik treiben willst, mein Junge, musst du zu¬ erst wissen, was Physik ist. Und da wird also zu allererst die obligate Definition der Natur und der Naturlehre gegeben. In diesem Punkte aber gleichen sich so ziemlich alle unsere Elementar-Lehrbücher. — Eine solche Einleitung würde ganz gut für eine speculative Physik passen, ist aber zwecklos, ja undidaktisch für eine reine Experimentalphysik. Glaubt man denn wirklich, ein Schüler, der noch nie Physik betrieben, könne klare Begriffe damit verbinden, wenn er es auch dahin gebracht hat, die Definition der Physik herzusagen? Unmöglich. Der Unterricht muss mit Bekanntem be¬ ginnen, wenn er verständlich sein soll. Eine Wort- oder Sacherklärung aber fasst die vielfachen Merkmale eines Begriffes zusammen, gibt einen Ueber¬ blick über das Ganze, — kann also nur von dem verstanden werden, welcher die Sache bereits kennt. Der Schüler soll aber dieselbe erst kennen lernen, mithin versteht er den Inhalt und Umfang der Erklärung nicht, memorirt nur das Gehörte mechanisch. — Eine Wissenschaft definiren zu wollen, ist immer ein grosses Wagnis. In den oberen Klassen der Mittelschule, deren Schüler im abstracten Denken bereits geübt sind, kann man es wol unter¬ nehmen, mit einer Definition zu beginnen, soll aber trotzdem, wenn man den

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