7. Jahresbericht der k. k. Realschule in Steyr, 1877

19 richte auch alles Rechnen ausgeschlossen werden soll; im Gegentheil es werde viel gerechnet, jedes gewonnene Gesetz werde durch passende, leichte Bei¬ spiele auf Fälle des gewöhnlichen Lebens angewendet. Denn, wenn nach¬ denkende Schüler sagen sollten, dass all ihr Lernen ihnen für's Leben nichts nütze, dass sie davon nirgends Anwendung machen können, würde sich nicht ihr Interesse am Lernen immer mehr vermindern? Der Schüler muss zu der Ueberzeugung gebracht werden, dass er für’s Leben lernt. Es ist das der materielle oder praktische Zweck des Lernens der Physik. Dass auch in der Mittelschule die physikalischen Lehrsätze, wenn der Unterricht frucht¬ bar sein soll, an gut gewählten Beispielen eingeübt werden müssen, ist heut¬ zutage ein von den Physikern allgemein anerkannter Grundsatz, und wir erinnem in dieser Beziehung nur an den Ausspruch des grossen Newton: „in addiscendis scientiis exempla plus prosunt quam pracepta“. Die praktische Verwertung der Physik zeigen wir ferner daran, dass wir das Gesetz als Erklärungsprincip anwenden sowol der in der Natur häufig vorkommenden atmosphärischen Erscheinungen und anderen beob¬ achteten Vorgänge, als auch der im Leben oft gebrauchten Instrumente und Vorrichtungen. So verwerten wir die Gesetze über die Brechung, Zurückwerfung und Zerlegung des Lichtes in farbige Strablen zur Erklärung des Regenbogens, die Gesetze über Elektricität zur Erklärung des Gewitters, das Gesetz, dass erwärmte Luft emporsteigt, zur Erklärung der Winde. Die gewöhnliche Wage führen wir zurück auf das Gesetz über den gleicharmi¬ gen Hebel, die Wirkung der Pumpen auf das Gesetz über den atmosphäri¬ schen Druck u. s. w. Als einen weitern materiellen Nutzen des Studiums der Physik müssen wir endlich noch anführen, dass nur dieses im Stande ist, den Aberglauben in seinen mannigfachen Formen auszurotten. Dass allen Natur¬ erscheinungen die Gesetzmässigkeit zu Grunde liegt, dass die Natur¬ erscheinungen trotz aller Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit ein bestimmtes Gesetz befolgen, — wir erinnern nur an die Witterungserscheinungen, dass überhaupt die Erscheinungen aus unwandelbarer Notwendigkeit hervor¬ gehen und in dieselbe zurückgehen, das kann nur durch das Studium der Physik zum lebendigen Bewusstsein gebracht werden. Der Aberglaube an Gespenster ist bis zu einem gewissen Grade beseitigt; wie gross ist aber das Gebiet des Unsinns, welcher an seine Stelle getreten ist! Wie fest steckt in den Köpfen der Jäger, der Seefahrer, der Gärtner, der Landleute der Glaube an tausenderlei Dinge, ein Glaube, der bei einiger Kenntnis der Naturgesetze keinen Augenblick bestehen könnte. Hier haben wir lauter Berufskreise, deren Angehörige beinahe im ununterbrochenen Verkehr mit der Natur leben und die, wenn sie die erforderlichen Grundkenntnisse besässen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden, einen natürlichen statt irgend welches mystischen Zusammen¬ hanges aufzusuchen, die beste Gelegenheit zur Erwerbung von Natur¬ kenntnissen haben würden.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2