80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

Dr. Walter Knarr SCHULGESCHICHTE (1874—1954) Vorgeschichte Die Stadt Steyr, im Mittelalter und in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit Standort bedeutender eisenverarbeitender Betriebe, konnte diese Wirtschaftsblüte seit der Wende zum 19. Jh. nicht mehr aufrecht erhalten. Die Messerschmiede, Klingcn- schmiede, Nagel- und Werkzeugmacher, die altbc- rühmten Fcilcnhaucr litten immer stärker unter der Konkurrenz der mächtig emporstrebenden Industrien des Auslandes, vor allem der englischen Schwerindustrie und der Großbetriebe des Ruhrgebictes. Die Steyrer Gewerbetreibenden verstanden cs häufig nicht, die technischen Errungenschaften der Zeit nutzbringend anzuwenden. Dazu kam noch, daß auch der kunstgewerbliche Sinn, der bis dahin z. B. bei den Messerern und Klingenschmiedcn so ausgeprägt war, dem wir zahlreiche schöne Produkte aus der Vergangenheit verdanken, immer mehr verfiel und dem für die zweite Hälfte des 19. Jh. typischen Stilchaos Platz machte. Diese hier geschilderte Entwicklung ist natürlich nicht nur in Steyr eingetreten, vielmehr finden wir ähnliche Erscheinungen auch in zahlreichen anderen Gebieten der damaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Die maßgeblichen Kreise begannen auf Abhilfe zu sinnen. In das Jahr 1864 fallen die ersten Versuche, eine Wandlung in Steyr herbeizu führen. Die 1863 errichtete dreiklassige k. k. Unterrealschule begann kurz nach ihrer Gründung Abendkurse für die Fortbildung der Gewerbetreibenden abzuhalten. Es ist kein Zufall, daß im gleichen Jahr auch die Behörden in Wien und Linz sich mit der Lage in Steyr zu befassen begannen. Die Statthalterei in Linz übermittelte1) den Stadtbehörden einen Erlaß des k. k. Staatsministeriums über die Errichtung von Wicdcr- holungs-( Fortbildungs-)Schulen und Fachschulen’). Die Wiederholungsschulen, deren Unterricht drei Stunden an Sonntagen umfaßte, sollten an den Volksschulen errichtet werden. Der Besuch sollte mit dem Verlassen der Volksschule beginnen und bis zum vollendeten 15. Lebensjahr dauern, bei Lehrlingen aber auch die ganze Lehrzeit hindurch fortgesetzt werden. Wir haben in diesem Schultyp also den Vorläufer der heutigen Berufsschulen zu erblicken. Die Fachschulen standen auf einem höheren Niveau und setzten entweder den Besuch von zwei Klassen Untergymnasium oder Unterrealschule voraus oder die Absolvierung der Fortbildungsschule mit gutem Erfolg. Der Gemeinderat von Steyr faßte den Beschluß, ein Komitee cinzusetzen, das die Errichtung solcher Schulen beraten sollte3). Auf den Bericht dieses Ausschusses hin, dem drei Gemeinde - räte und zwei Schulfachleute angehörten, erkannte der Gemeinderat die Notwendigkeit der Errichtung solcher Schulen an. Es wurde jedoch festgestellt, daß „wegen des totalen Stillstands der Industrie, der gänzlichen Erwerbs- und HHilflosigkeit unserer Ar- beits- und Geschäftsleute und der entfernten Aussicht eines günstigen Aufschwungs, der nur von der Energie der Verwaltungsbehörden, die sich bisher um die hierortigen Geschäftsleute nicht in der gewünschten Weise gekümmert haben, erwartet werden dürfte, dermalen keine Mittel dafür vorhanden seien'"’). Wenn jedoch die Gemeinde damals auch wirklich keine Mittel besaß, so behielt sic doch fortan die Errichtung von gewerblichen Schulen im Auge. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Schreiben des Bürgermeisters an die k. k. Statthalterei, in dem nachdrücklich auf den Wunsch der Stadtverwaltung hingewiesen wurde, daß auch Steyr eine Fachschule erhalten solle. Wiederum betonte man jedoch, daß die Gemeinde keinerlei Mittel dafür zur Verfügung stellen könne"). Durch längere Zeit hörte man nichts mehr von dieser Angelegenheit. Große Ereignisse spielten sich in diesem Zeitraum ab, die Schlacht bei Königgrätz zerbrach Österreichs Vormachtstellung im deutschen Kaum, eine staatsrechtliche Neuordnung, die Errichtung der österreichisch-ungarischen Monarchie, war die Folge. Die inneren Kräfte des immer wieder fälschlich für tot erklärten Reiches begannen sich jetzt von neuem zu regen. Die wirtschaftliche Bedeutung Steyrs wurde durch die 1869 erfolgte Gründung der „Österreichischen Waffenfabriksgesellschaft“ unter der Leitung Josef Werndls stark erhöht. Nun war die Zeit gekommen, den Plan einer Fachschule in Steyr wieder aufzunehmen. Das 1861 gegründete k. k. Handelsministerium errichtete nach 1871) zahlreiche Schulen dieser Art in Österreich, es waren jedoch nur sehr wenige Anstalten darunter, die für das metallbearbeitende Gewerbe bestimmt wurden. Gerade Steyr wäre für eine solche Gründung ein äußerst geeigneter Boden gewesen. Obwohl die Stadtgemeinde immer noch nicht über ausreichende Mittel verfügte, begann sic doch, im Vertrauen auf Staatshilfe, mit den notwendigen Vorarbeiten. Der äußerst rege Bürgermeister Moritz C r a m m e r sandte Briefe an die Bürgermeister zahlreicher deutscher Industriestädte, von denen er annahm, daß dort bereits gewerbliche Anstalten bestünden. Es wurde dabei gefragt, welche Organisation diese Schulen hätten, weitere Fragen bezogen sich auf den Lehrplan und die gemachten Erfahrungen“). Es ist immerhin erstaunlich, daß die Magistrate von Altona, Solingen, Remscheid, Iserlohn, Barmen, Nürnberg usw. antworten mußten, daß dort noch keine Schulen dieser Art vorhanden seien. Man kann also mit gutem Recht behaupten, daß, nach den bereits bestehenden Fachschulen in Klagenfurt und Komotau, die in Steyr zu den ältesten Fachschulen auf dem Gebiete der Metallbearbeitung im deutschen Sprachgebiet gehört. Im Jahre 1872 wandte sich die Stadtgemeinde mit einer Petition an den Öberösterreichischen Landtag. Man erklärte sich bereit, einen Teil der für die Errichtung der Schule notwendigen Kosten aufzubringen. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, daß sich Steyr immer mehr zum Mittelpunkt der Eisenindustrie Oberösterreichs entwickle. Man forderte den Landtag auf, dieser Tatsache Rechnung zu tragen und hier eine Landesanstalt für Eisenindustrie zu errichten. Die Stadt wollte vor

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