Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1985

FRANZ BRAUMANN Ritt ums J!.ehen Das Frühjahr ka.m spät auf die Stowe-Ranch. Erst Anfang Mai schmolz der Schnee im Brausen der Regenstürme. Das Weideland überzog sich mit jungem Grün. Als die Rinder wieder auf die Weide durften, begann eine schöne Zeit. Peter Brand und seine Söhne, die nach der Enteignung ihres Hofes über die gefährliche Grenze aus der Heimat geflohen und nach Kanada gegangen waren, hatten ein neues Rindergehege geba,ut. Sie brauchten jetzt - keine Begegnung mit den UlgatchosIndianem mehr zu fürchten, seit diese Brands neue Ranch besucht hatten. Sie lebten jenseits des Entiako-Lake friedlich in ihren Reservaten. Zwischen ihnen lag der fünfund.iwanzig Meilen lange See. In der Stowe-Ranch sprach man davon, im Sommer wieder nach Anahim-Land im Süden zu reisen. Auf dem Treck nach Norden hatte man mit den Rindern viele Tage da.zu gebraucht. Richmond und Pat, die jungen Söhne des Ranchers, glaubten, bei scharfem Ritt mit einer einzigen übemachtung in den Algak-Bergen auszukommen. Für diese Reise gab es nur eine ungelöste Frage: die Oberquerung des namenlosen Flußes, der aus den Algak-Bergen strömte und in den Entiako-See mündete. Vielleicht gab es vor der Mündung eine seichte Furt. ,,Heute suchen wir die Furt!" sagte Richmond eines Morgens. Peter Brand, der Rancher, hatte nichts dagegen, wenn seine Söhne einen Erkundungsritt machten. Die Brüder erreichten nach einer Stunde Ritt die Stelle, a.n der sie zum erstenmal den Entiako-See erblickt hatten. Der Wald wuchs hier bis an sein Ufer heran. 44 Nach weiterem Ritt durch Gestrüpp und dürres Reisig hob sich allmählich der Boden. Sie mußten der Südspitze des Sees nahe sein. Der parkartige, lichte Wald ließ einen raschen Trab der Pferde zu. Der See schimmerte hell herein. Die ganze Welt schien sich vor Frieden und Behagen wohlig zu strecken. Einmal versperrte den jungen Reitern eine tiefe Seebucht den weiteren Weg nach Süden. Auf dem Ritt längs des schwarzen, moorigen Strandes fanden sie eine frische Feuerstelle. Die Brüder blickten sich fra,- gend an. Befand sich jemand auf dem Weg nach ihrer Ranch, der letzten Siedlung am „Ende der Welt"? In der Bucht fanden die Reiter die Mündung des schwarzen Flußes. Vergeblich blieb die Suche nach einer seichten Furt. Als sich zwischen hohen Douglastannen ein Ausblick bot, zeigte es sich, daß sie schon tief in den Algak-Bergen ritten. Eine bedrückende Stille lag über dem Urwald und dem Fluß. Der moosige, nadelübersäte Waldboden dämpfte jeden Tritt der Pferde. In diesem Augenblick geschah etwas Unerwartetes: Ein langgezogener Schrei wuchs zu einem hohen, schrillen Ton an und sank wie- verhauchend ab. ,,Ein Elchkalb!" rief Pat hastig. Sie hatten die Pferde angehalten. Richmond beugte sich gespannt lauschend vor. ,,Das war ein Mensch, kein Tier!" Der Ruf kam aus der Höhe. Sie lauschten, ob er sich wiederholte. Da. - wieder ein Schrei! Die Brüder versuchten ihre Angst zu verbergen. . Mit fünfzehn und siebzehn Jahren hatten sie noch nicht viel

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