Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1958

stens einer von ihnen zu sein. Dann: Zeit seines Lebens war er kein Freund von Kindern gewesen, und ihre Unarten, die von nachsichtigen Eltern womöglich noch gepriesen werden, fielen ihm stets unangenehm auf, und er war nie geneigt, ihrer Unerfahrenheit oder ihrer Jugend etwas zugute zu halten. Hier trippelten sie nun scharenweise vor seinen Augen herum und jauchzten, und niemand war da, der sie mit Strenge zur Ruhe gewiesen hätte, ja, als er einen Bengel, der ihm zu nahe kam, einen ungezogenen Fratz nannte, schüttelte ein lang¬ haariger fader Kerl, der neben ihm stand, mißbilligend den Kopf. Da drängte Angermayer unwirsch durch die Menge und stellte sich hinter eine Säule, um nur das Getue nicht mehr mit ansehen zu müssen. Seine Gedanken kehrten sehnsüchtig nach der Erde zurück, wo gerade heute als an einem Donnerstag der Kegelabend stattfinden mußte, und er beneidete die Glück¬ lichen um ihr harmloses Vergnügen. Die Kollegen redeten von der Überbürdung des Amtes, bekrittelten die Lei¬ stungen der Vorgesetzten und erzählten, wie sie diesem die Meinung gesagt hätten, und icherlich war auf diese Art die allergemütlichste Unterhaltung im Gange. Vielleicht würden sie heute auch an ihn denken und wohl gar mit Bedauern seine Abwesenheit bemerken? Er hatte freilich nicht das meiste zur Fröhlichkeit beigetragen, aber er war immer pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich jederzeit als eifriges Mitglied gezeigt, und wenn auf Zeit und Zustände geschimpft wurde, hatte es nie an seinem Beifall und seiner kräftigen Mitwirkung gefehlt. Ach ja — München! Angermayer seufzte tief, und der lästerliche Gedanke stieg in ihm auf, wie gerne er sich aus Elysium weg nach der bayerischen Hauptstadt versetzen ließe, und wie bereit er wäre, mit einem Kollegen zu tauschen. Aber er war schon ein Pechvogel. Auf Erden hatte man ihn oft übergangen ihm nie die verdiente Beförderung zuteil werden lassen, und wie er dann schimpfend und nörgelnd und doch im In¬ nern zufrieden sich mit seiner Sekretärstellung abfand, mußte er weg mitten unter die nackten, ekelhaften Schlawiner hinein „Angermayer!“ Er fuhr aus einen Gedanken auf, als er seinen Namen mit einiger Ungeduld rufen hörte, und sah einen großen Engel am Himmelsportale stehen, der ungefähr so aussah wie ein Genius vom Oberammergauer Passionsspiel, und der jetzt die Hände vor den Mund hielt und wiederum den schallenden Ruf ertönen ließ: — „Martin Angermayer aus München!“ — ja!“ antwortete mißmutig der Sekretär, „was wollen S' denn?“ „S „Vielleicht ist es Ihnen endlich gefällig, einzutreten?“ schrie der Engel. „J kumm scho“, knurrte Angermayer, und er schob sich langsam durch die Gaffer hindurch, die erstaunt über sein Zögern die Köpfe nach ihm umdrehten, und die noch überraschter waren, als sie der Genosse ihrer künftigen Freuden mit groben Ellenbogen beiseite schob. „Da bin i. Desweg'n brauchen S' do net so plärr'n“ sagte der Sekretär zum Engel, der den merkwürdigen Gast mit leuchtenden, kugel¬ runden Augen maß. „Ich habe dich mindestens dreimal gerufen“, sprach er dann mit leisem Tadel. „Vo mir aus sechsmal“ erwiderte Angermayer mit einer im langjährigen Schalterdienst erprobten Grobheit, und er setzte beinahe feindselig hinzu: „Für de Arbeit wer'n Sie wahrscheinlich zahlt wer'n.“ „Dein Ton ist ungehörig“, sagte der Engel. „Hier ist ganz und gar nicht der für solche Außerungen, mein lieber Angermayer.“ Ort „I bin net Eahna Liaber, verstengan Sie mich! Und d'Säu hamm ma aa no net mitanand' g’hüat. Und drittens bin i der königlich bayrische Sekretär, des mirken S' Eahna!“ „Das bist du gewesen! Und jetzt bist du eine Seele, und sonst nichts, und hast dich in die Hausordnung zu fügen.“ 52

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2