Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1950

Anna Hauser, Steyr: Das seltsame So oft ich mit Dankbarkeit im Herzen von einem Konzert nach Hause gehe, gehobenen Gefühls, das mich über dem künstlerischen Erleben befangen hält, denke ich auch jedesmal an ein Konzert zurück, dessen einzige Zu¬ hörerin ich war und das mich mit einer Freude erfüllte, wie es weiterhin nicht mehr geschah und das mir ein frohes Lebensgefühl wachrief, wie es nur Einem ergehen kann, der aus tiefstem Leid wieder zum Glücke findet. Es war an einem stürmischen Winterabend in London. In heftigen Stö¬ ßen fegte ein grimmiger Nord durch die Straßen der Stadt, die mich an diesem Abend traurig machte wie nie zuvor. Mir war, als starrten mich die bunten Lichtlockungen der Warenhäuser wie hämische Augen an; die langen Straßenzüge mit ihren vornehmen Häusern vermehrten in mir das Gefühl grenzenloser Verlassenheit, die mich umfangen hielt, gepaart mit einem un¬ erbittlichen Heimweh. Meine Augen suchten in all dem Großstadttrubel stille, weiteWälder, hohe, stolze Berge, die liebe, kleine Heimatstadt. Mein Ohr hörte das Rauschen der beiden heimat¬ lichen Flüsse und mein Herz schrie nach den mir lieben Menschen, die ich daheim gelassen hatte. Daheim! — Wie lange ich so ziellos durch die Straßen irrte, ich weiß es nicht. Da dran¬ gen mit einemmal die abgerissenen Klän¬ ge eines Geigenspieles an mein Ohr. Der Wind trug die Töne auf seinen Schwin¬S gen um die Straßenecken. Die Melodie eines Wienerliedes war es, die silbern aufstieg und wieder verwehte. Im Anprall sehnsuchtsvoller Gedan¬ doch einen einzigen Menschen zu ken, haben, der meinen eigenen Gefühlen nahestünde, machte ich mich auf die Suche nach dem Geiger, zweifellos einem Stra¬ ßenmusikanten, der an irgend einer Ecke stand. Bald hatte ich ihn auch gefunden und sein Anblick erschütterte mich. Ein grau¬ haariger Mann war es; er hatte gewiß einst bessere Tage gesehen, war sicher ein¬ mal auf dem Konzertpodium gestanden und hatte vor einer dankbaren Zuhörer¬ schaft seine Kunst gezeigt. Er stand auch an jener Straßenecke in jener Haltung, die er sonst zur Schau getragen haben mochte, nur wollte das armselige Gewand, das er trug, den Ein¬ 80 S druck abschwächen. Ich sah in sein aus¬ geprägtes Künstlergesicht, in seine stil¬ len, leidvollen Augen, auf die be¬ — seelten Hände, die hingebend seiner „ Geige die süßen Tone entlockten. 110

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