Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

ihr jede Woche einmal ein Kästchen Kon¬ fekt ins Haus. Auf diese Weise erfuhren die Eltern von der harmlosen Liebelei, machten aber bald der Sache ein Ende, da der junge Mediziner außer Aline nock ein Dutzend andere junge Damen ver¬ ehrte und überhaupt als ernsthafter Be¬ werber gar nicht in Frage kam. Nach einigen durchweinten Tagen kam auch Aline wieder zur Vernunft, und als sie den Studenten wieder einmal zufällig auf es der Straße traf, fertigte sie ihn war wenige Tage vor Ostern — kurz ab. Die Folge davon war, daß Aline am Ostermorgen ein Ei als Geschenk bekam Sie ahnte wohl, von wem es käme schnitt ein schnippisches Gesicht und fand es am richtigsten, das hübsche Schoko¬ ladenei zu verzehren. Da stellte es sich heraus, daß das Ei aus Seife war, und seit jenem Augenblick haßte sie den eint so heiß Geliebten. Jahre waren darüber hingegangen, die Episode war längst verschmerzt, nun das Seifenei war geblieben. Jetzt brachte es Ruth der Schwester und rief ihr da¬ mit jene Liebesaffäre ins Gedächtnis zurück. Sie überlegte nicht lange. Zwar zeigten sich an der einen Seite des Seifen¬ eies ganz deutlich die Abdrücke ihrer Zähne, aber was schadete das. Bei der jetzt herrschenden Seifennot würde Rudol Klein auch diese Gabe gewiß herzlich willkommen heißen, er hatte schon mehr¬ mals geschrieben, daß er Handtuch und Seife schmerzlich vermisse, und wenn auch Aline hin und wieder ein Stück Kriegs¬ seife gesandt hatte, so war das doch lange nicht so gut wie diese Seife hier, dieses Ei, das aus der guten alten Zeit stammte „Es ist doch wenigstens ein Osterei philosophierte sie vor sich hin, dann packte sie rasch entschlossen das Stück Seife ein, bemerkte aber im Briefe mehrere Male, daß es sich hier um kein Schokoladenei sondern um ein Stück Seife handle. Herr Klein möge nicht darauf herein¬ ei fallen, wie es ihr einst gegangen sie das Sie lächelte vor sich hin, als Paket zur Post gab. So viele Jahre 59 war das Ei in ihrem Besitze gewesen, nun ging es an einen Fremden als Er¬ sat für ein Osterei. Wie doch der Zufall komisch spielte. Ein Rudolf hatte ihr das Ei einst geschenkt. Rudolf Minge wollte sie damit kränken, jetzt machte sie Rudolf Klein eine Freude damit. Was wohl aus Minge geworden sein mochte? Er war längst Arzt in irgend einer Stadt, vielleicht war er auch draußen im Felde. Ob er sich verheiratet hatte? Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. Was ging sie jener Mann noch an. Das war alles längst erledigt, längst vergessen. Der Gründonnerstag kam heran. Aline hatte ihre Pakete so abgesandt, daß sie heute annahm, die Päckchen würden jetzt in den Händen der Empfänger sein. Als Schlesierin hielt sie an dem alten Brauche fest, schon am Gründonners¬ tag Östereier zu schenken, und wenn auch diesmal keine Östereier da waren, so war es doch wenigstens eine Gründonnerstags¬ gabe. Den ganzen Tag über dachte sie an ihre Feldgrauen. Ob Rudolf Klein wohl Freude über das Ei gehabt hatte? Auch für die Familie Welling gab es in diesem Jahre keine Ostereier, aber trotzdem war man guter Laune. Selbst als das Osterfest herankam, als auf der Östertafel der übliche Kuchen und der Lammbraten fehlte, war man noch immer heiter und guter Dinge; es würden ja auch wieder Zeiten kommen, in denen man diese längst gewohnten Genüsse nicht zu entbehren brauchte. Papa und Mama Welling hatten sich eben zum Mittagschläschen hingelegt, da klingelte es und das Mädchen mel¬ dete feldgrauen Besuch. Ein Herr Ru¬ dolf Klein wünsche Fräulein Aline Welling zu sprechen. Mit einem Freudenruf eilte Aline in das Zimmer, in das das Mäd¬ chen den Gefreiten geführt hatte. Es war ihr eine außerordentliche Freude, gerade diesen Feldgrauen begrüßen zu können. Dann schauten sie sich beide an. Sahen sich in die Augen und sprachen kein Wort. Nur Aline strich sich mit der Hand erinnernd

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