Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

Wohnort und Berus. Und schreibt alles in sein Notizbüchl. Und ich wundere mich sehr, daß sich der Reitberger Hiesel auf einmal Josef Obermeier schreibt... Das habe ich noch gar nicht gewußt... Der Beamte geht wieder. Und der auch. Zug Der noble Herr aber sagt zum Hiesel¬ „Sie, das kostet Sie fein dreißig Mark Strafe. Sie haben nämlich die Notbremse mutwilligerweise gezogen und den zug zum Stehen gebracht“... Wir schauen den Menschen, der uns solche Enthüllungen macht, offenen Mun¬ des an. „Jawohl“, sagt er wieder, der noble Herr, der jetzt auf einmal die Sprache gefunden hat. „Jawohl, dreißig Mark. Geben Sie acht, in drei, vier Tagen wird Ihnen der Briefträger den Strafbefehl ins Haus bringen, Herr Obermeier. Der Hiesel ist ganz niedergeschmet¬ tert. Ich auch. Wir mögen nicht mehr zum Fenster hinausschauen. Nicht einmal das Fleisch chmeckt uns mehr. Der noble Herr belehrt uns noch weiter über die Notbremse, jetzt, wo es doch schon zu spät ist. Warum hat er sein Maul vorher nicht aufgemacht, son¬ dern bloß so fein gelächelt? Ich habe eine Schandwut auf den Kerl! Wir ziehen unsere Stiefel an und sind totfroh, wie wir die Türme der Stadt Deggendorf vor uns auftauchen sehen wie liebe, alte Bekannte. In drei Minuten steht der Zug wieder still. als die Aller¬ Wir steigen aus — letzten, gedrückt und stumm . .. Eine Menschengruppe am Bahnhof weist mit den Fingern auf uns ... „Schön war's doch, das Bahn¬ fahren“, sage ich. „Ja, seufzt der Hiesel, „wenn nichts passiert wär'. Hab' ich's nicht immer ge¬ agt: Bub, es passiert was?! Mir erbarmt der Hiesel. Denn dreißig Mark Strafe, das ist kein Spaß. Und wieder ergreife ich das Wort: 57 „Das hab' ich gar nicht gewußt, daß du dich Josef Obermeier schreibst, Hiesel ...“ Jetzt schaut er bedächtig um sich, ob niemand Unberufener in der Nähe ist. Dann sagt er: „Närrlein, dummes, glaubst du denn, ich bin aufs Hirn gefallen wie die noblen Herrn, die wo Lateinisch lesen? Natürlich schreib' ich mich Matthias Reit¬ berger, aber was braucht das die Eisen¬ bahn zu wissen? Die sollen sich den Josef Obermeier suchen — von mir aus in der halben Welt. In Marbach, in unserem Heimatdörfl gibt's keinen, und so kann sich die Eisenbahn einen denken, der ihr die dreißig Mark Strafe zahlt. Mich kriegt die Eisenbahn nicht dran, mich nicht, o wahr ich der Reitberger=Hiesel bin. Dann gingen wir auf den Markt, wo wir zwei quiekende Ferkel kauften, die der Hiesel in seinen Schnappsack teckte und dem Zimmermüller auflud. der gerade mit Fuhrwerk in der Stadt war. Wir tranken manche Maß Bier und der Hiesel ließ ein ums anderemal die Eisenbahn hochleben, daß er selbst so chwer geladen hatte, daß ihn der Ziller¬ müller im Schweinekoben heimfuhr. Ich saß beim Fuhrmann auf dem Kutschsitz und freute mich der wunder¬ amen Heimfahrt auf der abendlichen Waldstraße nach diesem so erlebnisreichen Tag meiner ersten unvergeßlichen Eisen¬ bahnfahrt Anno 1890. Es war nur schade um die schönen Rückfahrkarten in Hiesels Hutband, die wohlweislich ungenützt blieben. Der noble Herr im Bahnwagen bei uns hat recht behalten: Einige Tage nach unserer Heimkunft vom Deggendorfer Saumarkt suchte der Postbote das ganze Dorf nach einem gewissen Josef Ober¬ meier ab. Es war aber leider keiner zu finden. Und der Strafbefehl mit dreißig Mark ging erfolglos an die Bahnbehörde zurück. Ich habe den Hiesel natürlich mit keiner Silbe verraten. Und er selbst sich auch nicht; denn er ist niemehr auf der Eisenbahn gefahren.

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