Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

100 In dieser Not drang ein Bischofruf durch alle Gaue und Hilfe ward; in jedem Kirchturme hingen schwere Glocken, da gabs Metall auf viele Jahre hin. Im Land Tirol, dem heiligsten von allen deutschen Landen, dort meldeten sich zuerst die opfernden Gemeinden und gaben dem Vaterlande, was im Frieden zum Beten rief, damit es auf die Feinde Unheil speie! Jubelnd, die Zeitung in der Hand. stürmte mit solcher Nachricht Lukrezia zu ihrem Manne; wie mußte sich der freuen war er doch selbst ein stolzer Tiroler. 1 Aber Michl freute sich nicht. Er legte seine Arbeit hin und setzte sich in seine Kammer: Lukrezias Nachricht hatte ihn wie ein Keulenschlag getroffen. Den Kopf auf den Arm gestützt, die Augen geschlossen, wirbelte nun die er¬ schreckende Szene seines Hochzeitstages vor seinem Geiste. Er sah sich mit Lukrezia aus der Kirche kommen, die Trauung war vorbei, im langen Zug gings heim. Die Kaiser¬ glocke sollte gegossen werden. Die Lieder¬ tafel sang ans Bruchs „Glocke“, während der alte Dechant, dann der Reihe nach noch etliche Herren das Holzgerüfte neben dem Ofen bestiegen und unter Segen¬ sprüchen und Glückwünschen goldene Ringe, metallene Becher und letzte Erz¬ stücke in die brodelnde Glut warfen. Der Gesang hatte eben von neuem begonnen, als eine schwarze, jugendliche Frauenerscheinung hastig die Stufen des Gerüstes betrat, dem Hagenauer wollte das Herz stille stehen; denn das war Barbara, der er die Treue gebrochen. So stand wieder das Bild vor ihm und in den Ohren gellte der alte Fluch wieder. „Was die Menschen an Lüge und Trug ins goldene Geschmeide einen, das fege hinweg du heilige Flamme, auf daß das Gold dann geläutert zum reinen, singe warnend vom Weh, das mir die Lüge geschaffen, singe vom Weh bis das Herz deines Meisters zerspringt!“ Drau flog ein blitzender Ring in den Ofen. Das war der Segensspruch der dreizehnten Wunschhexe. Und jetzt begann sich der Fluch zu erfüllen. Allerorts wurden die Glocken aus den Türmen genommen, zerschlagen und aus ihrem Erz Kanonen geformt. „Singe vom Weh, bis das Herz deines Meisters zerspringt! Von Stund an legte sich eine tiefe Traurigkeit auf sein Gemüt und es kostete viel Ueberwindung, vor Lukrezia ihn heiter und unbekümmert zu scheinen. Seine Frau, die stets in hundert Sorgen liebevoll um ihn gewaltet, blieb dieser Wandel nicht lange verborgen. Auch kam sie zum Teil hinter die Ur¬ ache seiner Traurigkeit, aber nur zum Teil. Sie schien ihr erklärlich aus der Gewißheit, mit der sich Michl in den so unerwarteten Abschied von seinem gelun¬ gensten Werke fügen sollte. Sie ahnte nicht, daß viel mehr dahinter lag. Wie alle Glocken, so mußte wahr¬ scheinlich auch die Kaiserglocke in die Metallsammlung wandern, um dort zer¬ chlagen zu werden. Doch war die Kai¬ erglocke kein Werk wie irgend eine Glocke nur. Es konnte nicht schwer sein, ich für ihre Erhaltung einzusetzen; sie war doch der größte Stolz der Stadt, und Glocken von hohem künstlerischem oder geschichtlichem Werte waren schon manchenorts von der Einberufung aus¬ genommen worden. Uebrigens durfte auch ede Kirche von drei Glocken eine be¬ halten. Einen Monat später fand tatsächlich die Glockenabnahme statt und Lukrezia hatte einen Freudentag; denn die Kaiser¬ glocke war nicht dabei, das stolze Werk ihres Mannes war gerettet. Bei Michl Hagenauer zeigte sich bald eine volle Besserung seines traurigen Zu¬ tandes, so daß ihm die Stunden neben Lukrezia wieder angenehm wurden und er sie wie vordem suchte. Eines Abends erzählte er sogar ganz freimütig die Ur¬ ache seiner überstandenen Not und freute sich wie einer, der hart am Tode vorbei¬ Lukrezia, bisher in geritten war. völliger Unkenntnis der seltsamen Be¬ gebenheit mit Barbara, begriff jetzt die überstandenen Qualen ihres Mannes und

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