Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

88 versunken. Als sie näher heran kam, ah ich, daß sie nicht so jung war, wie sie mir in der Kirche erschien. Das schmale Gesicht leuchtete förmlich aus dem Pelzwerk des Mantels hervor. Der Mund, sehr fest geschlossen, hatte wieder einen schmerzlichen Leidenszug. Die ganze köstliche Frische des schönen Wintertages schien nicht für sie da zu sein. Leichtfüßig, eilig strebte sie an mir vorüber und wieder und dieses Mal noch intensiver mußte ich denken: was für ein Leid ist es wohl, das sie quälen mag, die zarte, feine Frau? Ich hoffte, sie einmal in meinem Bekanntenkreise zu treffen, um persönlick den Eindruck, den sie auf mich machte, zu verstärken, aber es fand sich keine Gelegenheit. Die Zeit ging. Frühlings¬ lüfte zogen von Süden her. An einem stillen Abend bei Sonnenuntergang sah ich Frau v. Volkener wieder. Ganz in's rosige Licht der scheidenden Sonne ge¬ taucht stand sie plößlich vor mir, draußen in der schönen Allee, die den Fluß ent¬ lang läuft und in die weiten Wiesen hineinmündet. Regungslos stand sie am Ufer und sah in das aufflammende und sich vertiefende Abendrot. Man fühlte es, sie gab sich ganz dem wunderbar feier¬ lichen Schauspiel hin, und doch lag ein schwerer Druck auf ihr, ihr Schmerz ver¬ ließ sie auch nicht in diesem Augenblicke Und in mir rief eine Stimme: ich möchte ihr Freude geben, sie soll doch auch lächeln können, diese traurige Frau. Dann fügte es sich so, daß ich sie an demselben Abend bei Freunden traf Ich trat in das große, behagliche Wohngemach, in dem schon eine ganze Anzahl von Menschen versammelt waren Neben der Frau des Hauses stand ein außergewöhnlich hoher, schön gewachsener Mann mit einem klugen, energischen Gesicht und neben ihm strahlend, jung, mit Augen voller Glück und Hin¬ gabe, eigenartig schön in dieser Belebt¬ heit, sich an viele wendend, und doch immer wieder mit leuchtendem Blick zum Antlitz des Mannes zurückkehrend Frau v. Volkener! Ich war so er¬ staunt, daß ich im ersten Moment zögerte, an sie heranzutreten. Ihr hatte ich Freude geben wollen, die ganz von Glück über¬ chüttet zu sein schien! Da kam der Hausherr auf mich zu, um mich zu be¬ grüßen; ich wurde in den Kreis herein¬ gezogen, der sich um Frau v. Volkener gebildet hatte. Wir tauschten einen förm¬ lichen Händedruck und einen Augenblick lang tauchten ihre Augen in die meinen, und da war es mir, als ob hinter all der sprühenden Lebendigkeit, eine leise Wehmut läge. Vielleicht sah ich auch falsch, denn den ganzen Abend hindurch war sie munter, voller Scherz, bildete den Mittelpunkt von fröhlicher Rede und Gegenrede, bezauberte durch ihre heitere Anmut, hatte für Jeden ein liebes Wort, eine rege Anteilnahme. Aber ihr leuchtender Blick kehrte immer und immer wieder zum Antlitz ihres Mannes zurück und mehrere Male wechselte sie den Platz, um in seine Nähe zu kommen. Seine ruhige Männlichkeit hatte etwas selten Sympathisches und Vertrauenerweckendes und sie blühte in einem Schutz immer lieblicher auf „Es ist schön, ein so glückliches Paar zu ehen, nicht wahr?“ sagte die freundliche Wirtin zu mir. Ich nickte. Aber es blieb ein peinigendes Gefühl von Nichtver¬ tehen in mir: dieselbe Frau, so schmerz¬ versunken, so abwehrend, und diese lichte, freudedurchsonnte! Welches war nun ihr eigentliches Sein? Dann mußte ich für mehrere Monate die kleine, verträumte Universitätsstadt verlassen. In den ersten Wochen meines Fernseins schrieb man mir, daß Herr v. Volkener an einer hartnäckigen bös¬ artigen Lungenentzündung im Laufe von drei Tagen gestorben sei. Ich wurde heftig erregt durch diese Nachricht, denn deutlich sah ich die feine, vornehme Frau vor mir, wie sie an jenem Abend im Freundeshause durch ihr Glück andere beglückend so selig geleuchtet hatte. Und nun, dieses jähe Ende, dieser schaurige Sturz in tiefstes Leid! Ja, nun hatte sie wieder diese starre Kummerfalte um den

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