Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

74 jugendlich knospende Brust kreuzweise bedeckte. Unter dem hochgekämmten, kastanienbraunen Haar mit den sechs widerspenstigen Löckchen über den Ohren lachte ein süßes Gesichterl hervor, in dem der kirschrote Mund und die schwarzen, ein wenig mandelförmigen Augen vor Frische und Uebermut blitzten. Zu all dem Schönen trug die Kleine wie eine Puppe im Arm einen dicken Busch gold¬ gelber Ringelblumen, die wie flimmernde Sternchen an ihrem Herzen brannten und wer weiß, in welchem Bauerngarten oben bei Pötzleinsdorf stibitzt worden waren. Franz Schubert schaute und schaute und konnte nicht satt werden. Plötzlich n jähem Entschluß, nahm er des Jung¬ ferleins Rechte und zog es selig den Berg hinab. „Nur g'schwind, Fräulein Gusti, die andern sollen das Engerl auch ehen. Paßt auf, der Schober plumpst Euch zu Füßen und betet Euch an ... Und dann, ich hab' so ein Liederl im Kopf, das muß heraus. Von einem her¬ zigen Mäderl, wie Ihr eins seid, und von den Ringelblumen da... „Ich hab's schon fast beieinander ... Im Garten der Mutter Aurelia „ zu Wahring saß trotz der späten Stunde das Wiener Völkchen noch Tisch an Tisch. Ueberall goldheller Wein und Berge von Strudeln und knusprigen Buchteln, die von geschäftigen Kellnern unter die Menge geschoben wurden. Die Luft war erfüllt von Lachen und Singen, vom Kugelrollen und reichem Klingklang der Schrammelkapelle, die unter der Glasblattlaube beim weißen Haus mit Geige, Harfe und Klampfen das Glück und die Wehmut des Lebens verkündete. Der Musikus Franz Schubert mit seiner Sonntagsbeute am Arm zwängte sich durch das wirbelnde Treiben, bis er abseits beim Kegelschopf die Freunde entdeckte. Flaschen waren bereits geleert, die dritte wurde soeben mit Jubel emp¬ fangen. „Hallo, Freunderln,“ rief er mit klingender Stimme, „da bring ich ein Engerl, das eigens für Euch der Petrus vom Himmel geworfen hat. Aber, bilt' chean, rührt mir's net an; es ist von Glas und nix für klotige Tatzen. Nur anschaun und Euch freuen daran, das ürft's!“ Und aufschnaubend, sich an dem Staunen der Freunde sichtbar er¬ götzend, riß er zwei freigewordene Slühle heran und schob das lachende Jungfer¬ lein zwischen den Schober und sich an den Tisch. „Und nun, bitt' schean, ein Stückerl Papier. Ich hab' ein Liederl gefaßt, als ich die Gusti sah, das schreit nach Papier, das will sich nicht länger bändigen lassen. Der lange Mayrhofer kannte den Franzl. Wenn der nach Papier rief, war's ernst, da mußte gehorcht werden. Und einem vorüberschlüpfenden Kellner den Speisezektel entreißend und einen Bleistift aus eigenem Besitz beisteuernd, reichte er beides worklos dem lieben, goldbraven Kerl. Vor Schubert versank mit einem Schlage die Welt. Ein tiefer Schluck aus dem vollen, ihm freudig gespendeten Glas war die letzte irdische Regung, die die Freunde an ihm bemerkten. Er sah nichts und hörte nichts mehr. Was focht es ihn an, daß der ständig verliebte Schober der Gusti Krienhuber die ersten zärtlichen Worte gab? Daß Mayrhofers immer bereite Pfeife um seinen Woll¬ kopf qualmte? Daß die Schrammeln das Lied vom lieben Augustin spielten und alle Welt in Entzückung mitsang? Daß dicht neben ihm die Kugeln rollten und die Kegel purzelnd zusammen¬ krachten? Der Kopf und die Rückseite des Speisezettels geneigt, im heißen Gesicht einen weichen, verträumten Zug, die Augen hinter der schwarzgeränderten Eulenbrülle, vor Seligkeit leuchtend, etzte er Note an Note in winzigen Punkten zwischen die hingekritzelten Linien und unter die Noten den Text des ihm jüngst erst bekannt gewordenen Gedichts. Mayrhofer, der achtsamste unter den Freunden, dem Franzlserdferne Schaffens¬ weise aus mancher geheimnisvollen Stunde im engen Stübchen der Wipplingergasse

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2