Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

bekannt war, schaute dem vom Fieber gepackten Künstler in stiller Bewegung zu. So trieb es der dicke Bertl schon Monat um Monat und Jahr um Jahr Wenn das heilige Feuer über ihn kam, ganz gleich ob im engen Bezirk der vier Wände, ob draußen im tosender Durcheinander der immer munterer Stadt, gab es für ihn keine äußere Welt mehr. Nur Schöpfen und Schaffen rastlos, verzehrend im leidenschaftlichen Kampf mit sich selbst und seinen aus unergründlichen Weiten heranwogenden Gesichten, nur ein Emporwerfen innerster Träume, bis der maßlose Drang ge¬ bändigt und das brennende Wünschen erfüllt waren. Ein juchzender Schrei von der Mitte des Gartens fuhr wie ein Pfeil¬ schuß über den Platz der vier Freunde und ihrer holden Genossin. Auf eines der weißen Tischchen war ein Bursche in übersprudelnder Weinlaune, gesprungen, hatte, während das Winsel fiedelte, die Harfe zupfte und die bauchige Klampfen ihre Töne wie Perlen niederrinnen ließ sein Glas mit Grinzinger Heurigen er¬ hoben und ein bacchantisches: „Leuteln, verkauft's mei G’wand, i fahr in Himmel“ über die Köpfe der Wiener geworfen. „Verkaufk's mei G’wand!“ scholl es lachend von allen Seiten zurück. Es war ein Wirbel unerschöpflicher Lust und Daseinsfreude, der aus dem Garten emporfuhr und um die blitzenden Lampen kreiste, die, eben entzündet, als kleine Leuchtkäfer zwischen den Bäumen in der Sommernacht glühten. Nur der Musiker neben der Kegelbahn blieb un¬ bewegt, von all dem Jauchzen und Lacher der Schwärmer. In tiefer Versunkenheil fügte er Note zu Note mit Vorzeichen und Schlüsseln, bis die letzten geschwänzten Köpfchen schmetterlingsgleich um die fünf Linien huschten und ein geschwun¬ gener Schlußstrich das Punktum unter das Ganze setzte. Aufatmend, von der Nase die Brille nehmend und mit dem buntgewürfelten Sacktuch die feuchte Stirn betupfend, lächelte er den Freunden beinahe kindlich zu: „So, dös wär’ ge¬ 75 schafft. Da habt's das Liedl, ich schenk's Euch Der schmucke Schober, immer der Erste bei etwas Neuem, ließ die Nach¬ barin frei, die er in zielfestem Liebes¬ kreszendo umschlungen hielt und überflog das ihm zugeflatterte Blatt mit kundigem Blick. Die Wirkung war außergewöhn¬ lich. Mit jähem Satz sprang er auf und lief zur Gaisblattlaube hinüber, von wo er gleich darauf mit der Klampfen des „Nun Schrammelspielers zurückkam. paßk's fein auf, Freunderln, ich sing Euch das Lied unseres Bertl, so gut es bei dem Geschmier mir gelingt.“ Und während die geübte Rechte präludierend den C=Dur=Akkort anschlug und die G=Dur¬ Septime folgen ließ, begann er mit frischem, dunkelgefärbten Tenor Franz Schuberts neueste Schöpfung, das Ständchen: Horch, horch, die Lerch' im Aetherblau! Und Phöbus, neu erweckt, Tränkt seine Rosse mit dem Tau, Der Blumenkelche deckt. Der Ringelblume Knospe schleußt Die gold'nen Aeuglein auf Mit allem, was da reizend heißt, Du süße Maid, steh' auf Du süße Maid, steh' auf! Das Lied verklang in einem frischen, kurz angeschlagenen Akkord. Der forsche Kupelwieser wollte seine Bewegung nicht zeigen und hieb nur mit der Faust au den Tisch, daß es dröhnte und klirrte. Der ernste Mayrhofer verzichtete gleich¬ falls auf Worte und reichte Schubert, der seinem Werk in stillem Beglücktsein gefolgt war und mehrmals lächelnd ge¬ nickt hatte, dankbar die Hand. Auf Gusti Krienhuber, des ehrsamen Zucker¬ bäckers bildhübsche Tochter, wirkte da¬ gegen der Vortrag weit stärker als die Schöpfung. Sie fiel in begeisterter Freude dem Sänger Franz Schober um den Kuß. Hals und gab ihm einen schallenden C chrie „Nanu, Fräulein Gusti“0 Kupelwieser erbost, „der Kuß gehört unserm Bertl, dem Schubert, der hat doch das fesche Liedl gemacht!“ Lächelnd spitzte die Jungfer zum zweiten Mal das Kirschenmäulchen und

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