Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1926

Feldern wie eine Feuerkugel am glas¬ hellen Abendhimmel hing. Ihm nach und Arm in Arm, wie es zwei guten ein wenig weinschweren Burschen ge¬ ziemt, trabten der Maler Leopold Kupelwieser und der von schwärmerischen Gefühlen immer beherrschte Sonntags¬ poet Franz Schober, während hinter den dreien, in einigem Abstand von ihnen ein rundlich rundes Männlein in blauem Frack, weiß=grün gemusterter Weste und afranfarbigem Nantinghöschen über die Steine und Wurzeln des steilen Berg¬ pfades hüpfte. Der dem Kleine hatte Mühe, Sturmschritt der andern zu folgen,und obgleich sein durstiges Herz sich nicht weniger nach einem Würztrunk von den Hängen um Grinzing sehnte, hielt be¬ er es doch für weiser und besser kömmlich, den Wettlauf um einigeszu mildern und bei bedächtigem Schlendern den hold verklingenden Abend still zu genießen. Beim Gersthof neben der Straße auf sanftem Berghang öffnete sich ihm, nun er geruhsamer schritt, das hundertmal geschaute und doch immen wieder bezaubernde Bild der Heimat. Weit draußen im Süden, den Augen kaum erreichbar, stand die blaßblaue Wolke des Leithagebirges und erinnerte den spähenden Mann an jene längst be¬ grabenen Tage in Ungarn, da sein leiden¬ schaftliches Herz über die junge Komteß Karoline auf Schloß Zelesz in Brand geraten war. Die Esterhazys, das war chon gewiß, hatte er nie recht leiden mögen, mit dem zierlichen Edelfräulein aber hatte er Stunde um Stunde am Klavier zugebracht und ihr im Stillen alles zu Füßen gelegt, was seinem Kopf und Herzen damals an klingenden Träumen entsprossen war. Das war nun vorbei und nicht mehr zurückzurufen. Und weiter schweiften die Blicke des Kleinen durch die gewaltige schwarze Hornbrille. Hinüber zur Donau, die wie ein Rosenband im letzten Sonnenlich zwischen den unermeßlichen Auen glutete, und dann hinab auf die einzige Stadt, auf sein seliges Wien, dessen Straßen 73 und Gäßchen sich immer mehr an die Berge heranschafften. War's nicht ein Glück, im Schatten des Stephansdoms geboren zu sein? War's nicht sein ganzes, bescheidenes, mühsames und doch so un¬ endlich reiches Leben, das ihm von dort in heißen Wellen entgegenschlug? Im Gassenwinkel dort unten lag ja der Himmelpfortgrund, wo er den Gang in das Leben begonnen! Dort hockte die ein Schule von Lindental, in der er, armselig schuftendes Schulmeisterlein, die ge¬ Buben geprügelt und das Singen lehrt. Dort waren die Schenken mit hren trauten Gesellen und die bescheidenen Gärten und Tanzböden, wo man, das lieblichste Mädel am Arm, sich rastlos im Walzer dreht und noch öfters den anderen zum lustigen Reigen aufgespielt hatte. Dem Kleinen wurde ganz warm ums Herz. Er riß den hohen, breitkrämpigen Hut vom lockigen Schwarz= kopf und schwenkte ihn zweimal, dreimal risch durch die Luft: „Grüß dich Gott, klingendes, liederdurch¬ Wienerstadt, chwirrtes, sinnenberauschendes Wien! Grüß dich .. Ein jugendlich leichter Schritt hinter ihm am Bergpfad ließ den Schwärmer ählings verstummen. „I glaub' gar, der Herr Schubert an narrisch geworden!“ Das silberne Lachen, das mit den munteren Worten heranlief, riß den Kleinen vollends herum. Die Augen hinter der Brille wurden wie Teekannen groß, und über das dunkel¬ gerötete Gesicht blitzte frohes Erkennen. „Ist's möglich, das Fräulein Gusti? Und so apart heut, so ganz apart, wie ein Engerl vom Himmel? Die zierliche Wienerin, Tochter des ehrbaren Zuckerbäckers Franz Taver Krienhuber aus der Tuchlauben, stellte ich keck auf die Spitzen ihrer vielfach verschnürten Stöckelschuhe und ließ sich mit Wohlbehagen bewundern. Kein Zwei¬ fel, das Mädel war bildhübsch, ein weißes, mit roten Röschen besticktes Batistkleid schmiegte sich weich an den biegsamen Körper und lief nach oben in einen wolkigen Mullschal aus, der die

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